Sat.1 am Hindukusch

Wer bezahlt Kerners Talk in Afghanistan? Und was wird aus der Finanzinvestoren-besessenen Aktiengesellschaft, zu der Sat.1 gehört? Außerdem: weiteres Für und Wider um Wikileaks.

Achtung, es folgt eine börsenrelevante Nachricht: An den vermutlich nicht unbeträchtlichen Kosten für Johannes B. Kerners Sat1.1-Talkshow vom Hindukusch u.a. mit Karl Theodor zu Guttenberg ist auch Sat.1 selbst beteiligt.

"Für die Anlieferung der Ausrüstung komme Sat1 auf, war aus der Bundeswehr zu hören", berichtet die Süddeutsche Zeitung. Und diese Ausrüstung war kein Pappenstiel, immerhin "5,7 Tonnen" wöge sie. Ob die "14 Mann" der "Kerner-Truppe", die für die Talkshowherstellung ebenfalls eingeflogen werden musste, bei der Bundeswehr "als Journalisten zählen" und daher nicht für Reise nach Afghanistan zahlen mussten, konnte die Zeitung nicht in Erfahrung bringen (und scheint damit die alte, einst anhand des Nikolaus-Brender-Diktums "Wer wirbt, ist kein Journalist" diskutierte Frage, ob denn Kerner Journalist ist, implizit zu bejahen, vgl. ganz altes Altpapier).
Achten Sie ggf. auch auf das schöne Szenenfoto, das die SZ zur Illustration verwendet; es lässt Guttenbergs sprichwörtliche bella figura dank Kerners Figur sowie identischer Pullover besonders vorteilhaft zutage treten.

Zurück zu den harten Fakten: "Auf keinen Fall gebe es jedoch aus Mitteln des Ministeriums einen Zuschuss zu den Produktionskosten", sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums, der im Übrigen Wert auf die Feststellung zu legen schien, dass er "als Soldat 'total begeistert'" von der Idee der Kerner-Show sei.

Ob es sich beim begeisterten Sprecher um jenen Withold Pieta handelt, dessen schönen Namen der in derselben Mission angefragt habende Tagesspiegel klar nennt - ungewiss. Jedenfalls beschäftigt Kerners Show auch heute viele Medienjournalisten, z.B. in der TAZ Steffen Grimberg, der derart kräftig drauflos glossiert, als sei er die Kriegsreporterin, die sich direkt daneben die "Aufmerksamkeitsrakete" naturgemäß aber auch nicht entgehen lässt.

Wann läuft denn die Show? Am morgigen Donnerstag um 23.15 Uhr auf Sat.1, im Anschluss übrigens an den Spielfilm "Out of Time - Sein Gegner ist die Zeit". Ob sich zu solch später Stunde die Produktionskosten refinanzieren lassen?

Damit also zur schon erwähnten Börsenrelevanz der News: ProSiebenSat1 ist an der Börse notiert, wird jedoch bekanntlich, was die stimmberechtigten Stammaktien angeht, von Finanzinvestoren besessen (vgl. z.B. Mediendantenbank mediadb.eu). Noch jedenfalls. Wie aber die Welt gestern mitteilte, stehe die Sendergruppe aber "vor dem Verkauf": "Die Eigentümer der Senderkette, die Finanzinvestoren KKR und Permira, wollen den TV-Konzern versilbern. Eventuell bringen sie ihn an die Börse."

Und weil die Welt überdies im flankierenden Kommentar nicht bloß zweimal durchblicken ließ, dass die zum Verkauf stehende Sendergruppe "zu groß für deutsche Investoren" sei, dass aber "Politiker in der bayerischen Landeshauptstadt und auch in Berlin ein großes Interesse daran haben müssen", "dass ProSiebenSat.1 in Deutschland verankert bleibt", kommt in der FAZ (S. 35) Michael Hanfeld auf naheliegende Gedanken zum Zusammenhang zwischen Botschaft und Überbringer:

"Aber was mag es bedeuten, dass gerade die 'Welt' vom Konjunktiv zum Indikativ wechselt und schreibt: 'Pro Sieben steht vor dem Verkauf“?' (...)
Doch sei Pro Sieben Sat.1 ob des geschätzten Werts von fünf Milliarden Euro 'möglicherweise zu groß für heimische Investoren'. Wer kann damit bloß gemeint sein?

[listbox:title=Artikel des Tages[Weitere Fragen zur Kerner-Show (SZ)##Weitere Fragen zur Kerner-Show (Tsp.)##Springers Welt über ProSiebenSat1##Döpfners & Leyendeckers Medienbedeutungsillusion (Don Alphonso)##Christiane Schulzki-Haddouti gegen die Spiegel/ Wikileaks-Koop]]

Womöglich eben der Konzern, zu dem die hier so gut informierte Welt gehört, der womöglich immer noch gern in den deutschen Fernsehmarkt einsteigen wollen würde (und das ja auch noch immer nicht ganz verboten bekommen hat). Also könnte auch die alte Diskussion, ob Axel Springer ProSiebenSat1 kaufen darf, ein Revival erleben.

Wenn sich Sat.1 von seinem inzwischen bayerischen Standort gemeinsam mit dem bayerischen Starminister und der Springer-Presse (Bild-Zeitung ganz groß: "Nörgler, Neider, Niederschreiber, einfach mal die Klappe halten") für die Verteidigungsbereitschaft am Hindukusch einsetzt, wird das der Sache sicher nicht schaden.


Altpapierkorb

+++ Damit ins unmittelbare Inland, wo sich heute oder morgen etwas rundfunkpolitisch noch Epochaleres vollzieht und der 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag unterzeichnet wird. "Damit soll die Rundfunkgebühr von 2013 an durch eine Rundfunkabgabe ersetzt werden" (BLZ). Was die daraus resultierenden Einnahmen angeht, herrscht eine Ungewissheit von etwas einer Milliarde Euro im Jahr: "Ein ARD-internes Papier kam zum Schluss, dass die Erlöse um 200 Millionen Euro niedriger liegen als die gegenwärtigen rund 7,5 Milliarden Euro, die jährlich bei ARD, ZDF und Deutschlandradio landen. Andere Prognosen gehen sogar von bis zu 800 Millionen Euro mehr aus" (Tagesspiegel). +++ Falls jemand ein Interview lesen wollen sollte, das zupackend mit der Frage beginnt "Herr Boudgoust, begrüßen Sie als ARD-Vorsitzender die neue Haushaltsabgabe?", in BLZ/ FR wird er geholfen. +++ Worum genau es nochmal bei der Abgabe geht, informiert ebd. Daniel Bouhs. +++

+++ Das Megathema Wikileaks beschäftigt die Medien auch heute in vielen Facetten. Der u.a. als FAZ-Blogger und für seine Streitbarkeit bekannte Don Alphonso gestattet sich auf meedia.de den Spaß, Mathias Döpfner und Hans Leyendecker in dieselbe Schublade zu stecken: diejenige der "klassischen Medienbedeutungsillusion", und deren inzwischen erkennbarer Irrelevanz dann Wikileaks gegenüberzustellen - "diese globale Marke, die quasi aus dem Nichts kam und heute bestimmt, was auf den Titelseiten der alten Medien steht". +++

+++ In welchem Boot Springer und Süddeutscher Verlag zumindest tatsächlich gemeinsam sitzen: Sie müssen erstmal abwarten, von welchen Wikileaks-Dokumente der Spiegel (in Deutschland) berichtet. "Andere Redaktionen und freie Journalisten können mangels Zugang die Depeschen nicht nach eigenen Kriterien erschließen und sich kein eigenes Bild verschaffen", meint Christiane Schulzki-Haddouti (kooptech.de). Wegen der Wikileaks/ Spiegel-Exklusivkooperation hat sie den Deutschen Presserat eingeschaltet (siehe auch taz.de). +++ Eine Assange-Presseschau aus den USA gibt die FAZ auf der Medienseite, während vorn auf dem Feuilleton beinahe ganzseitig Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs, schreibt: "Staaten haben keine Privatsphäre, sie haben Geheimnisse. Wie viele Geheimnisse sie bewahren, hängt davon ab, wie gut sie darauf aufpassen können." +++

+++ Mal wieder eine hübsche Überschrift auf der SZ-Medienseite: "Bitte schön cross" heißt Johannes Boies und Katharina Riehls Artikel über crossmediale Bemühungen in alten Medien, zum Beispiel beim Hanser-Verlag (in dem Sky und Skype und, schlimmer noch, iPod und iPhone verwechselt werden), zum Beispiel bei der ARD, die dank ihres Gebührengelds die sinnvollste Methode, trial-and-error, anwenden kann. +++

+++ Kann der Stabreim den Dokumentarfilm retten? "Alle Appelle an die ARD also verhallten im ahistorischen All anspruchsarmer Anstaltsanführer", dichtet zumindest die Funkkorrespondenz in ihrer Zusammenfassung der Lage. "Aber ganz offensichtlich haben die ARD-Intendanten in Sachen Dokumentation gegen Talkshow bei ihrem Reformprozess am Ende einen Kompromiss hergerichtet, der mit Blick auf die Programmqualität einhellig als zu hart und unfair beurteilt wird." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.