Jede Menge Abgewäge

Gratwanderungen zwischen Waagschalen: Was ist von der Freifrau-Show bei RTL2 zu halten, was vom Geschehen um KNDM?

Eigentlich eine gute Nachricht: Es wird unter Medienbeobachtern derzeit ungemein abgewägt. Eine sinnvolle Haltung zur Frage, welche Grenzen Ministergattinnenshows auf Schmuddelsendern bei der Padöphilenjagd denn trotzdem einhalten sollten, will gut überlegt sein. Und - völlig anderes Thema, aber auch abwägungsbedürftig - sich eine Meinung zum digitalen Konstantin Neven DuMont zu bilden, fällt auch nicht ganz leicht.

Was die Debatte um die RTL2-Show "Tatort Internet" (hier übrigens ab 20.00 Uhr online anzuschauen; unser Foto zeigt die Sendungs-Homepage) am Laufen hält, sind laufend neu fallende Äußerungen von zum Beispiel Thomas de Maizière (laut FAZ wieder pro Vorratsdatenspeicherung) oder Til Schweiger, die von den Nachrichtenagenturen weitergetragen werden und von anderen Medien in immer neuen Übersichtsartikeln gebündelt werden, wie heute etwa in der TAZ.

Am absten wöge aktuell, nur falls dieser Superlativ gebildet werden dürfte, der vom Tagesspiegel interviewte Strafrechts-Fachanwalt Niklas Auffermann. "Ob die reißerische Aufmachung der Sendung ...sich möglicherweise überwiegend an hohen Einschaltquoten orientiert, mag jeder selbst beantworten", sagt der Jurist und wirft noch weitere wichtige Fragen zum Selbstbeantworten auf.

Etwas meinungsfreudiger, dabei nicht weniger nachdenklich ("Es handelt sich um eine juristische Gratwanderung"): der Leiter der Netzwerk-Fahndung des bayerischen Landeskriminalamtes, Günter Maeser, im Welt-Interview.

Beide Experten sind sich einig darin, dass am Ende des allgemeinen Meinungsbildungsprozesse Entscheidungen fallen werden. Maeser: "Ich gehe davon aus, dass sie" (die RTL2-Sendung) "noch eine Reihe von einstweiligen Verfügungen, Klagen und Prozessen nach sich ziehen wird." Auffermann: "Ob die Regeln des Jugendschutzes eingehalten werden, prüft nach meiner Kenntnis derzeit die Medienaufsicht."

Welche Medienwächter sind zuständig? Der Kommission für Jugendmedienschutz sitzt Wolf-Dieter Ring vor (und man möchte sich die Abwägungsprozesse kaum ausmalen, die sich im obersten bayerischen Medienwächter vollziehen würden, falls er tatsächlich vor der Aufgabe stünde, der Gattin des womöglich allerersten CSU-Bundeskanzlers mitteilen zu müssen, dass ihre TV-Show beim Jugendschutz etwas falsch machte...). Zum Glück steht ja praktisch schon die Weihnachtszeit vor der Tür, die den Tatendrang der Medienwächter bekanntlich (siehe Altpapier: "Immer diese Weihnachtszeit") zügelt.

Direkt für den bei München ansässigen Sender RTL2 ist die hessische Medienanstalt LPR zuständig. Und auch schon am Angucken der Show. "Wir brauchen hierfür etwas Zeit, um angesichts der komplexen Sachlage eine fundierte Beurteilung abgeben zu können", zitiert das Hamburger Abendblatt via DAPD den LPR-Direktor Wolfgang Thaenert. In der ZAK, einer weiteren Medienwächter-Kommission (für Zulassung und Aufsicht), werde "am 26. Oktober oder später" beraten.

Einzelne journalistische Meinungen zum Thema liegen bereits vor: "Die Absetzung von 'Tatort Internet' wäre konsequent", argumentiert Kai-Hinrich Renner unter der Überschrift "Voyeurismus statt Aufklärung" ebenfalls im Abendblatt - also in einer Zeitung des Springer-Konzerns, dessen größtes Blatt zu den dicksten Freunden von Stephanie zu Guttenberg und ihrer Show und erst recht ihres Gatten gehört. [Dieser im Prinzip kostenpflichtige Kommentar kann gratis ergoogelt werden].

"Sollte der in der Sendung vorgeführte und im Anschluss verschwundene 61-Jährige", der Kinderdorf-Leiter aus Würzburg, von dem in allen "Tatort Internet"-Übersichtsartikeln die Rede ist, " sich tatsächlich umgebracht haben, darf Frau zu Guttenberg das getrost als Selbstmordanschlag verbuchen". Das ist jetzt natürlich polemikfrohe Kolumne statt abgewogenen Kommentars und steht in der heutigen TAZ-Medienkriegsreportage. Die ist traditionell multithematisch, weshalb Silke Burmester überdies für Konstantin Neven DuMont die "praktische Kurzform" KNDM ersinnt.

[listbox:title=Artikel des Tages["Tatort Internet"-Experteninterview (Welt)##Was die Medienwächter schon mal tun (HAB)##TAZ-Medienkriegsreportage u.a.zum Thema##Die neuen Weltcharts der Pressefreiheit]]

Wie sich das mit den vielen Onlinekommentaren verhält, die unter KNDMs Namen unter Stefan Niggemeiers Blog geschrieben wurden (siehe Altpapier gestern), das versuchen heute ohne wirklich neue Erkenntnisse viele Zeitungen unter mehr oder weniger lustigen Überschriften in Worte zu fassen (FAZ: "Wer hat an meiner Tastatur geschrieben?", Süddeutsche: "Quasseln bis zum Entsetzen", FTD: "Wer bin ich und, wenn ja, wie viele"). Tja.

Was KNDM, jedenfalls "kein gewöhnlicher Medienunternehmer" (SZ), "einer der wichtigsten Medienmanager des Landes" (FAZ), "der bedeutendsten Medienmanager Deutschlands" (FTD), mit u.a. Burmester und  Niggemeier gemeinsam hat: Sie gehören zu den Medienbeobachtern, die (digital natürlich) zugesagt haben, in den kommenden beiden Wochen zum zehnjährigen Geburtstag des Altpapiers am 8. November eine Gastkolumne verfassen werden.


Altpapierkorb

+++ Wer noch weiteren Abwägungsbedarf verspürt, kann ja abwägen, ob Henryk M. Broders Engagement gegen die aus dem Fernsehen bekannte "angebliche Jüdin" Edith Lutz, bekannt aus dem Tagesspiegel (und der FAZ, die darauf ansprang), nun unter Mitwirkung der Katholischen Nachrichtenagentur KNA auch noch fortgesetzt (Tsp.) gehört. +++

+++ Nochmal "Tatort Internet": Offenbar ohne sich bei Michael Hanfeld über das Programmumfeld erkundigt zu haben, beschreibt die FAZ auf ihrer Vermischtes-Seite ausführlich die "Abgründe des 'Cybergrooming'" anhand der RTL2-Show. +++

+++ In der neuen Ausgabe der "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte" werde "Das Schweigen der Quandts", die viel gelobte NDR-Dokumentation von 2007, "stark kritisiert. Der Essener Historiker Ralf Stremmel attestiert dem Film nun Einseitigkeit, außerdem seien die Qualitätsstandards, denen sich Fernsehdokumentationen stellen müssten, nicht eingehalten worden", meldet die Süddeutsche knapp auf ihrer Medienseite. Das Online-"Abstract" der Vierteljahreshefte deutet einen Tick mehr an. +++

+++ Während der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte an seinem neuen, "noch grundsätzlicheren" Caroline-Urteil noch arbeitet, kam vom Bundesverfassungsgericht schon mal ein Urteil in ähnlicher Sache. "Das Wort ist freier als das Bild", fasst es die Süddeutsche zusammen. Siehe auch TAZ, BLZ, FAZ ("Teilerfolg für Bauer und Burda"). +++

+++ Neuer "Rückschlag für die Enthüllungs-Organisation" Wikileaks? Julian Assanges Antrag auf eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis wurde in Schweden abgelehnt, womöglich, weil er seinen Antrag "im Internet gestellt" hat, anstatt ihn vorschriftsgemäß bei einer Botschaft anzufordern (SZ). +++ Auf der frisch reingekommenen Rangliste der Pressefreiheit der "Reporter ohne Grenzen" liegt Schweden weiterhin, gemeinsam mit Finnland, Island, Norwegen, den Niederlanden und der Schweiz auf Platz 1. +++

+++ Warum sind amerikanische Fernsehserien-Drehbücher so gut? "Weil dort viel mehr Fragezeichen am Ende eines Satzes stehen, während deutsche Bücher häufiger mit Aussagesätzen arbeiten" (Rolf Basedow, Autor der von Dominik Graf verfilmten Serie "Im Angesicht des Verbrechens", im BLZ-Interview). +++


Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.