Freifrau-Show beim Schmuddelsender

Breaking News: Stephanie von und zu Guttenberg, bekannt als Ministergattin und Klum-Kritikerin, performt auf RTL2. Ein Scoop, der Sektkorken knallen lässt! Außerdem: "das Stuttgart 21 des Fernsehens".

Sensation! "Neue TV-Reihe entlarvt feige Kinderschänder"! "Vor laufender Kamera machen Stephanie zu Guttenberg, Ehefrau des Bundesverteidigungsministers, und Hamburgs Ex-Innensenator Udo Nagel Jagd auf Sextäter im Internet. In 10 Folgen (künftig immer montags) stellen sie mehr als 60 potenzielle Kinderschänder vor laufender Kamera bloß. Und zeigen sie anschließend bei Polizei und Justiz an."

Wer wissen möchte, worum es in "Fall 1 der Serie" geht, für den sich "die 18-jährige Lisa (eine Schauspielerin)" im Online-Chat als 13-Jährige ausgibt - bild.de dokumentiert ihn gern, leider noch nicht im Bewegtbild, nur in kargem Text.

Mit anderen Worten, Freifrau von und zu Guttenberg, Buchautorin (hier die FAZ-Kritik), die kürzlich mit Kritik an Heidi Klums Pro-Sieben-Show "Germany's Next Topmodel" für gelindes Yellow-Aufsehen sorgte (gala.de), performt jetzt selber ausgerechnet auf RTL2. Und zwar, wie am Donnerstagmorgen auch in der RTL2-eigenen Programmübersicht noch nicht vermerkt ist, schon am Abend dieses Donnerstags.

Dafür haut eine ganz große Koalition aus den führenden Boulevard-Printmedien Bild-Zeitung und Stern (heute auf dem Cover: "Die Tricks, mit denen sich Männer an Kinder und Jugendliche heranmachen") sowie dem amtierenden deutschen Hochadel mächtig auf die Pauke. Den jüngsten Ablauf der sich überschlagenden Ereignisse gibt der ebenfalls eingeweihte Mediendienst dwdl.de wieder, selbst noch ein bisschen durch den Wind vor Echtzeit-Aufregung:

"Nach den Negativ-Schlagzeilen, die der Sender mit seiner sehr unglücklich kommunizierten Qualitätsoffensive im August ausgelöst hatte und dafür reichlich Schelte kassieren musste, knallen jetzt mal kurz die Sektkorken: Über Wochen hinweg hielten der Sender, die Produktionsfirma und alle an dem Projekt beteiligten Personen dicht. Niemand wusste etwas über die neue RTL II-Sendung 'Tatort Internet' (...).

An diesem Donnerstag jetzt die Enthüllung - mit Titelseiten-Unterstützung bei 'Bild' und 'Stern': Hinter dem bislang geheimnisvollen 'Tatort Internet' steckt die aktuell vermutlich anspruchsvollste Eigenproduktion des Senders, der sonst mit dem Gegenteil Schlagzeilen macht. Denn hinter dem Sendungstitel steckt keine weitere Dokusoap nach erwartbarem Muster, sondern viel mehr ein gesellschaftspolitischers Anliegen. So formuliert es der Sender. Das klingt gewagt, beinahe unglaublich bei RTL II."

Eigentlich hatte der Schmuddelsender Berliner Journalisten geheimnistuerisch zu einem "Hintergrundgespräch" in Anwesenheit der Ministergattin am heutigen Donnerstag geladen (siehe Foto). Eine noch ungenannte Sendung, die "investigativ, seriös und gesellschaftlich relevant" sei, sollte vorgestellt werden. Mit diesem Wissensstand schrieb Peer Schader für die Berliner Zeitung eine aktuelle Bestandsaufnahme zur Lage von RTL2 unter dem nicht so erfolgsverwöhnten Geschäftsführer Jochen Starke. Die bleibt aktuell:

"Ob sich Frau zu Guttenberg vorher angesehen hat, was der Sender, dem sie nun ihr Gesicht leiht, sonst so im Programm zeigt? 'Exklusiv - die Reportage' bringt am heutigen Abend den Beitrag 'Grenzenlos geil! - Deutschlands Sexsüchtige packen aus', passend zu den Themen der Vorwochen, 'Sex vor der Kamera - Pornoveteranen packen aus' sowie 'Rauf und runter an der Stange - Erotiktanz und Pärchenstrip'. Demnächst geht es um Nacktcamping und Intimchirurgie. Das Problem ist nicht, dass bei RTL2 ein oder zwei Sendungen den 'qualitativen Ansprüchen' nicht genügen würden - es ist das ganze Programm."

Den tagesaktuellen Programminformationen zufolge plant RTL2 am späteren (Themen-)Abend, um 23.10 Uhr, weiterhin die "Reportage" "Grenzenlos geil! - Deutschlands Sexsüchtige packen aus" zu wiederholen (siehe hier jugendfrei beim Prisma-Verlag, hier, visuell aufreizender, auf der RTL2-Webseite). Da handelt es sich, wie der Sender auch korrekt angibt, um eine FSK 18-Show, die schon deshalb nicht vor 23.00 Uhr gezeigt werden dürfte.

[listbox:title=Artikel des Tages[BLZ über RTL2 an sich##Was ist Facebook? (Freitag)##Plaudern mit dem Zuckerberg-Darsteller (Tsp.)]]

Ob der u.a. über seine Biografin (siehe FAS aus dem Juni) bestens mit der Springer- und sonstigen Schlagzeilen-Presse vernetzte Bundesverteidigungsminister vor lauter Popularität nun also in Kürze Bundeskanzler wird, schon weil Ursula von der Leyen da auch beim allerbesten Willen nicht mehr mithalten könnte, oder ob er vielleicht sogar zurücktreten muss, weil die eigentliche Sensation darin liegt, wie sehr sich seine Gattin in der Wahl ihrer Mittel vergriffen hat - das wird tatsächlich ein wenig spannend.
 


 

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+++ "Das 'Stuttgart 21' des Fernsehens" allerdings, das sind, der heutigen großen Michael-Hanfeld-(Print-)Reportage zufolge (FAZ, S. 35, derzeit nicht frei online) , die aktuellen Entwicklungen um den Deutschen Fernsehpreis, der am Wochenende vergeben werden wird. Bekanntlich gibt es für Drehbuchautoren, Regisseure, Komponisten, Kameraleute, Szenographen, Kostümbildner, Tonmeister und Cutter keine Einzelauszeichnungen mehr und deswegen eskalierenden Streit zwischen Preis-Veranstaltern und zahlreichen Verbänden. "Die Kritiker in den Verbänden denken jedenfalls über einen alternativen Deutschen Fernsehpreis schon nach" und haben Aktionen während der Vergabe-Show angekündigt. "Bei der Preisvergabe am Samstag in Köln ... könnte es also doch spannend werden." +++

+++ Der Facebook-Film, der nach Vorabberichten gefühlt schon längst in den Kinos sein müsste, läuft endlich an. Gleich nebenan, im Medienressort von evangelisch.de, schimpft Jeff Jarvis in gewohnter digitalophiler Wut über den Film, um am Ende mit der Aufforderung "Sie sollten sich 'The Social Network' wirklich ansehen" zu überraschen. Der typische Jarvis-Sound, den man mögen muss. Oder kaum mehr ertragen kann.+++ Viiiel entspannter das Geplauder des Tagesspiegels mit Mark Zuckerberg-Darsteller Jesse Eisenberg ("Anfangs waren die Leute von Facebook nicht glücklich über den Film. Mark hat ihn jetzt gesehen, und er hat meinem Cousin, der seit einer Weile bei Facebook arbeitet, gesagt, dass ich gute Arbeit geleistet habe. Er scheint mit dem Film leben zu können").+++Viiiel erkenntnisreicher: Mathias Mertens' Ansatz einer grundsätzlichen Facebook-Erklärung im Freitag ("Facebook ist ein Blog. Allerdings einer, der nicht nur von einer Person, sondern von vielen geschrieben wird. Allerdings nur von denen, die man dazu ausgewählt hat. So wie bei einem Newsletter. Allerdings nicht auf ein bestimmtes Thema beschränkt. Eher so, wie man sich auf einer Homepage oder auf Myspace präsentiert. Allerdings ohne, dass es so statisch wäre wie dort. Eher wie in einem Chat, wo man präsentiert und reagiert. Allerdings nicht so flüchtig und echtzeitig wie dort, sondern mit einer Toleranz von Stunden und Tagen. Eher wie ein Forum, wo immer wieder neue Diskussionen entstehen, während alte weiter gehen können. Und so weiter"). Allerdings verliert sich Mertens später in etwas ausgewalzten Treppenwitz-Analogien. +++

+++ Auf der SZ-Medienseite reflektiert Johannes Boie den Wechsel von MTV ins Pay-TV: "Auf dem Popkulturblog nerdcore.de, einem Ort im Netz, an dem sich heute viele treffen, die früher MTV geschaut hätten, kommentiert einer: 'Öhm...wer ist denn so degeneriert, dass er für den Scheiß bezahlt?'" +++

+++ Medienwissenschaftler wissen: "Porno" zu sagen, generiert Schlagzeilen, weil solche Schlagzeilen Klicks generieren. Beim jüngster Mainzer Mediendisput in Berlin, bei dem es um sog. "Scrited Reality" ging, nannte Bernhard Pörksen das Genre "Sozialporno". Thomas Leif ergänzte: "Mit Kondom". Siehe TAZ ("Sozialporno mit Kondom") sowie meedia.de. +++

+++ Einer der Schmuddelsender der zweiten Reihe bleibt doch erstmal, was er ist. Das Vierte wird doch nicht verkauft (siehe ftd.de, das mit der DPA aus der gedruckten FTD zitiert). +++

+++ "Bei 'Olaf TV' denkt manchmal selbst der fernsehmumpitzgestählte Zuschauer: Och nö, Dorfbühne, Kindergeburtstag?" (Markus Ehrenberg, Tsp. zur neuen 3sat-Show). "Wer am Absurden keinen Gefallen finden kann, wird sich bei Olaf-TV langweilen, vielleicht auch ärgern" (BLZ). +++

+++ Großer Erfolg für den Sat.1-Film "Die Wanderhure". 9,75 Millionen Zuschauer sahen laut Quotenmessungen zu. "Für Sat 1 das erfolgreichste eigenproduzierte Event seit 2003 ('Das Wunder von Lengede')" (Tsp.). +++ Die Süddeutsche, die den gar nicht so üblem Film vorher keines Satzes gewürdigt hatte, ringt nachträglich um Worte: "Man kann sich gut vorstellen, wie das Prinzip Wanderhure nun als Quotenphänomen von Produktionsunternehmen kopiert wird. Die Folgen wären dann in zwei Jahren auf allen möglichen Sendern sichtbar: Opulente Kostümfilme über gepeinigte Frauen aus dem Mittelalter, die durch Schönheit und Geist erhaben sind und die sich mit grausamer Zielstrebigkeit am Ende das holen, was sie wollen. Meine Herren".+++

+++ "Vielleicht sollte man das ZDF einfach abschaffen". Richard Kämmerlings und Peter Praschl versuchen in der Welt, die zumindest ja ihre Medienseite längst abgeschafft hat, ein bisschen Debatte zu entfachen, wegen "Mad Men" bei der "Totgeburt ZDFneo". +++ "Die bhutanische Medienindustrie steckt nach wie vor in den Kinderschuhen. Als Gesellschaft mit ausgeprägter oraler Tradition sind viele Bhutaner noch immer auf Tratsch und Gerüchte fixiert und weniger interessiert an Medien oder Journalismus" (TAZ).
 

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.