Dr. Google und Mr. Schmidt

Unter Albert Einsteins Augen zog der Google-Chef in Berlin auf der IFA eine Verkaufsshow auf mittlerem QVC-Niveau ab. Die wichtigsten Stimmen zu Eric Schmidts Auftritt.

Ganz Berlin träumt von der IFA. Gestern kam tatsächlich der höchste Besuch oder der mächtigste, der in der Welt der Kommunikation derzeit denkbar ist, in die deutsche Hauptstadt: der globale Google-Chef Eric Schmidt bzw. Dr. Eric Schmidt, wie die korrekte Anrede auf preußisch natürlich lautet.

Der Saal, in dem der Dr. auftrat, war so überfüllt, dass nicht früh genug angekommene Beobachter in der angenehmen Chill-Atmosphäre des IFA-Sommergartens (unser erstes Foto) dieselbe Liveübertragung des Auftritts genießen mussten, die auch ins Internet gestreamt wurde und hier weiterhin abrufbar ist.

Zunächst wurde Schmidt zur Begrüßung von Messe Berlin-Geschäftsführer Christian Göke in eine Reihe mit Albert Einstein gestellt, der nicht bloß auch schon einmal eine, äh, Funkausstellungs-Keynote gehalten hat, sondern sogar "somewhere up in the sky" (Göke) Schmidt zusehen und -hören würde.

Was der Google-Chef dann allerdings lieferte, war eine mediokre Show, in der es zunächst von Allgemeinplätzen ("We help the computers and they help us") wimmelte, und die das Niveau eines durchschnittlichen QVC-Teleshoppings ("It's pretty amazing") erreichte, als Google-Mitarbeiter unter dem sparsamen Applaus des Saalpublikums neue Kunststückchen aus dem Bereich der Spracherkennung vorführten.

So fragte Google-Magier Hugo Barra sein mit dem Google-Betriebssystem Android betriebenes Handy nach dem Berliner Museum mit dem "ägyptischen Zeug" und wurde von diesem zum Pergamon-Museum geschickt. Dass dieses Museum zwar auch alten, aber den gefragten "egyptian stuff" nicht enthält (den bietet das sog. "Neue Museum"), wurde erst gegen Ende der Show in der kurzen Fragestunde aus dem Publikum zu bedenken gegeben.

Subversiver Clou der Sache, zumindest der in den Sommergarten und ins weltweite Netz übertragenen Videoversion: Die Regie hielt die Kamera streng auf Barra gerichtet und zeigte im Bildausschnitt (Foto links) gerade nicht die Leinwand im Saal-Hintergrund, auf der wiederum Barras Handydisplay zu sehen war. Insofern musste man Google eben glauben oder auch nicht - wie in so vielen Dingen.

Nachdem auch das kommende Google TV beworben worden war, entwickelte Schmidt im dritten Teil der Show allgemeine Visionen, die in der Übersetzung von kress.de gruselig klingen ("Ihr seid nie wieder einsam!", "Ihr seid nie wieder gelangweilt!", "Wir kümmern uns für Euch drum"...). Zugegebenermaßen lassen sie sich auch harmloser eindeutschen: "Wir können Menschen Anregungen machen, denn wir wissen, was ihnen wichtig ist'" protokolliert die Süddeutsche im Wirtschaftsressort (S. 23). "Heute schaue man im Wetterbericht, ob es regnen wird, erläuterte der Google-Chef. In Zukunft könnte Google einen Nutzer daran erinnern, eine Regenjacke anzuziehen."

Andererseits hat Marin Majica von der Berlin-Frankfurter DuMont-Presse Schmidt gar von "augmented Humanity" (also "angereicherter Menschheit" im Sinne des Technikterminus "augmented reality) reden hören!

Sämtliche aktuell kritischen Punkte, seien es nun Google Streetview oder die Netzneutralität, sparte Schmidt komplett aus. Dass digitale Gesichtserkennung zwar technisch möglich, aber sowohl illegal als auch "too creepy" sei, sagte er auf Nachfrage. Kurzum: Die verblüffend schwache Show des Google-Chefs liefert skeptischen Beobachtern jede Menge rhetorische Munition gegen den Datenkraken.

"Fast dreist" nennt SPON den Auftritt und titelt: "Google-Chef will noch mehr Daten". Dirk Liedtke sieht's auf stern.de etwas distanzierter: "Soviel kalifornischer Techno-Optimismus wirkt auf den technikmuffeligen deutschen Michel schnell verstrahlt, naiv, ein bißchen irre." Corinna Visser (Tagesspiegel/ Wirtschaft) reichert ihren Bericht mit einem exklusiven Kommentar des im Publikum anwesenden, bekanntlich keineswegs grundsätzlich Google-skeptischen Sascha Lobo an. Der fand, "dass Schmidt um die wichtigsten Sachen herumgeredet habe... 'Will Google in Zukunft auch meine Waschmaschine steuern?'"

Weitere Stimmen im Schnelldurchlauf: "Schmidt nutzte seine 'Keynote' unterm Funkturm, um dem Publikum einen Blick in die Entwicklungslabors von Google zu ermöglichen" (Handelsblatt) bzw. "um für Produkte und Visionen des Konzerns zu werben" (FTD). "Google-Chef will gläsernen Internetnutzer" (N 24 auf SPONs Spuren).

Die fleißigen Aggregatoren von meedia.de schnappten irgendwie auf, dass die (um 12.30 Uhr terminierte) Show "am Dienstag abend" stattgefunden habe, lenkt aber auch den Blick auf internationale Beobachter des Berliner Ereignisses. In der Perspektive von Techcrunch klingt Schmidts Berliner Satz "We know where you are, we know what you like" auch ganz schön creepy. Vielleicht reicht er dem bislang bekanntesten gruseligsten Schmidt-Ausspruch "If you have something that you don't want anyone to know, maybe you shouldn't be doing it in the first place" (siehe gawker.com 2009) doch das Wasser.

[listbox:title=Artikel des Tages[Dr. Schmidts Show als Video##Was sagt techcrunch.com dazu? (engl.)##Was sagt kress.de dazu?##Was Sascha Lobo? (Tsp.)##"Angereicherte Menschheit"?? (BLZ/ FR)##Bußgeld-Verbaselungs-Untersuchung (FK)]]

Während übrigens Kay Overbeck, einer der deutschen Google-Sprecher, in der Schmidt-Show gemeinsam mit Barra nicht als Regenmantel-, sondern als Schuhverkäufer performte (Minute 27.00 im Video) und eine eher lachhafte Figur abgab, was freilich weniger an ihm als am Drehbuch gelegen haben dürfte, macht Kollegin Lena Wagner ziemlich gute Figur. taz.de hat sie zum Thema Streetview interviewt und fragte z.B. nach der Zahl der in Deutschland bisher eingegangenen Widersprüche. "Wie gesagt ist es zum derzeitigen Zeitpunkt nicht möglich, weder eine seriöse Zahl noch eine Größenordnung der Widersprüche zu nennen", bleibt Wagner standhaft.

Das dürfte Dr. Schmidt, sobald sein Android-Handy ihm das Interview übersetzt hat, gefallen.



Altpapierkorb

+++ Konstantin Neven DuMont widerfährt es eher selten, im Internet unironisch gewürdigt zu werden. Aber heute in der aktuellen TAZ-Medienkriegsreportage, da widerfährt es ihm (falls wir nichts überlesen haben...). +++

+++ Was wurde aus der neulich von der Funkkorrespondenz aufgedeckten Neun Live-Bußgeld-Verbaselung durch diverse Landesmedienanstalten (siehe Altpapier)? Das "wird nun innerhalb der bayerischen Staatsregierung näher geprüft", berichtet die aktuelle FK, bzw. "werde nun untersucht, ob ein Verstoß vorliege, bei dem die Rechtsaufsichtsbehörde einschreiten müsse". +++ Ebenfalls in der FK: Erfolgs-Visagistin Silke Frink über die Auswirkungen des brandheißen IFA-Trends HD-Fernsehen auf die Maskenbildner, die die umso schärferen talking heads herrichten müssen. +++

+++ Zurück zu Eric Schmidt. Die FAZ vermeldet einstweilen eher technokratische News im Wirtschaftsressort. Und fügt einen aktienkurs-analytischen Kommentar (S. 18) hinzu: "Die Lage ist durchaus ernst. Der Aktienkurs von Google ist in dem vergangenen Monat kräftig gefallen und liegt nun unter 500 Dollar. Zwar funktioniert die Suche im Internet weiterhin prächtig... . Doch bei allen anderen Projekten ist nicht klar, wann sie Gewinn abwerfen." +++ Die nun nicht mehr geheime Liste mit den größten Google-Kunden importierte meedia.de. Demzufolge gab der sympathische Ölkonzern "BP alleine im Juni 3,59 Millionen Euro für AdWords-Werbung aus". +++

+++ Unterdessen bei Wikileaks: Dort beginnen Mitarbeiter sich von Julian Assange zu distanzieren, berichtet die SZ-Medienseite mit Hinweis auf thedailybeast.com"Civil War at WikiLeaks". +++

+++ Der Deutsche Presserat hat "noch länger gewartet als sonst" und nun einen "Praxis-Leitfaden: Berichterstattung über Amokläufe - Empfehlungen für Redaktionen" (PDF) erstellt. "Das Ergebnis ist ein nüchterner, in seiner Fülle bedrückender Überblick über journalistische Fehltritte", meint die Süddeutsche. +++

+++ Zurück zur IFA. "Alles wird digital, bloß das Radio läuft überwiegend mit einer mehr als fünfzig Jahre alten Technik", es gebe aber immer noch Hoffnung bei denen, die Digitalradio wollen, berichtet Kurt Sagatz im Tagesspiegel. +++ Wie es bei der Digitalisierung des Fernsehens steht, berichtet u.a. dwdl.de. +++ "Beim digitalen Antennenfernsehen ist Berlin übrigens Spitze" (Tsp. wiederum). +++ Bei einem Pressegespräch ließ Sky-Chef Brian Sullivan sich von verschüttetem Orangensaft nicht aus der Ruhe bringen (dwdl.de wiederum). +++

+++ Joschka Fischer immer dicker im Geschäft. Nicht nur für Rewe (TAZ neulich), auch für die "International Crisis Group", eine Nichtregierungsorganisation, "eine Art privates Weltaußenministerium" (Mitgründer George Soros), die die Süddeutsche heute vorstellt. +++

+++ Für Freunde kniffliger Definitionsfragen: Das ZDF möchte weniger Volksmusik, aber mehr Schlager im Programm haben (Tagesspiegel). +++ Wenn das ZDF meint, mit Maybrit Illner und Matthias Fornoff im "heute"-Team zwei Top-Journalisten aus den eigenen Reihen für Top-Jobs gefunden zu haben, möchte Michael Hanfeld (FAZ) auch im Hinblick auf Fornoff "gar nicht einmal widersprechen." +++ Hier noch vier Stimmen zu Margarethe von Trottas heutigem Fernsehfilm "Die Schwester" (ARD, 20.15 Uhr). +++

+++ Mario Adorf, "werden wir Sie auch noch mit hundert wie Heesters arbeiten sehen?" - "Um Gottes willen. Nicht mit 106...", antwortet der seit heute 80-Jährige im FAZ-Kurzinterview (S. 33). "Im deutschen Fernsehen vergeht kaum ein Tag, ohne dass wir Mario Adorf irgendwo zu sehen bekämen", lautet die Bildunterschrift zu Verena Luekens FAZ-Gratulation (jetzt online). Dennoch herzlichen Glückwunsch! +++
 

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.