Ein Beispiel an der "Hürriyet"

Man kommt nicht um ihn herum: Performt Sarrazin heute bei Plasberg besser als bei Beckmann? Falls tatsächlich, Frank Schirrmacher böte die Lösung.

Eigentlich müsste man sich heute ein Beispiel nehmen an der auch nicht uneingeschränkt sympathischen Zeitung Hürriyet. Deren deutsche Redaktion teilte nämlich Karen Krüger, die für die FAZ der Debatte um Thilo Sarrazins bekanntes Buch in türkischen Medien nachging, auf Nachfrage mit, sie

"habe nicht vor, weiter über die Sarrazin-Debatte zu berichten... In Deutschland herrsche Meinungsfreiheit. Sarrazin sei mit seiner biologistischen Argumentation sei zwar keine schöne Stimme, aber nur eine unter vielen."

Insofern suchen wir erst mal nach Sarrazin-freien Medienartikeln und stoßen auch gleich auf eine ziemliche Exklusivmeldung der Süddeutschen: Roland Koch hat nicht nur einen Nachfolger, sondern gleich noch einen, und zwar in seiner Eigenschaft als rundfunkpolitisch "böser Bube im Kreis der Unionsländer". Johannes Beermann, Chef der sächsischen Staatskanzlei zu Dresden, ist's, der so wie Koch etwa in der Causa Nikolaus Brender künftig den Anschein der Staatsferne stören soll oder wird, den der öffentlich-rechtliche Rundfunk sonst so gern pflegt.

Beermann habe die "AG Beitragsstabilität" ins Leben gerufen, um zu verhindern, dass die demnächst aus Rundfunk-Gebühren in Rundfunk-Beiträge umgemünzten Gelder zur Finanzierung von ARD und ZDF steigen könnten. Claudia Tieschky berichtet:

"Jetzt will man in der Spar-AG schon vor der nächsten Gebührenrunde eine Debatte führen, bei der es auch um Rundfunkorchester gehen wird, um den Kulturkanal 3sat und um die Zahl der digitalen Sender. Alles, was denkbar ist, soll auf den Tisch."

Alles, was heute an Fernsehsendungen empfohlen wird, entstammt dem Reich der ARD: einerseits um 20.15 Uhr eine Komödie mit dem sprechenden Titel "Alles Liebe" und Hannelore Elsner ("gehört zum Besten, was das Fernsehjahr bisher zu bieten hatte", so Klaudia Wick wie stets begeistert; "hält souverän die Balance zwischen Kitsch und Routine", so die TAZ). Andererseits empfiehlt Michael Hanfeld in der FAZ (S. 33) die Reportage "Hart und herzlich":

"Da braucht es keinen Thilo Sarrazin, um zu erkennen, worum es geht. ... ...
Nicht nur Integrationsministern sei dieser Film als Anschauungsmaterial dringend empfohlen. Er zeigt, mit welcher Aufgabe wir hingebungsvolle Menschen wie Betül Durmaz nicht alleine lassen dürfen"

Diese Reportage wird um 23.30 Uhr ausgestrahlt. Komplett rhetorisch wäre die Frage, warum so spät. Einerseits hat sich längst eingebürgert, dass die ARD ihre relevanten Sendungen nicht zur sog. besten Sendezeit ausstrahlt, andererseits liegt der Grund dafür, dass diese Sendung nicht wenigstens um 22.45 Uhr auf den Sender kann, darin, dass es in der ARD eben doch auch an diesem Mittwoch wieder Thilo Sarrazin braucht. Bei dem also auch wir wieder gelandet sind. Performt er bei Plasberg (21.45 bis 23.00 Uhr) besser als bei Beckmann?

Zumindest dürfte es Frank Plasberg keine Mühe bereiten, in seiner 1001. Show (oder ists's doch erst die 101.?) weniger schlecht zu performen als Kollege Beckmann knapp zwei Abende zuvor (jetzt in der ARD-Mediathek). Davon künden heute diverse gedruckte Rezensionen.

"Wenn jemals jemand überhaupt nicht gut ausgesehen hat bei Beckmann, dann war es Thilo Sarrazin", analysiert Barbara Sichtermann bei tagesspiegel.de (gedruckt kürzer unter der Überschrift "Hyper hyper"). Das Problem ist, dass das seinen lauten Gegnern nicht half, dass, wer bei Beckmann nicht gut aussieht, im wahren Leben kein schlechter Mensch sein kann, bzw.: "Das Problem der Runde war, dass sie keinen Weg fand, Sarrazins Bauchgefühl etwas entgegen zu setzen".

Nils Minkmar erinnert in seiner gelehrten Besprechung (faz.net, kürzer in der Druck-FAZ) Sarrazin "mit seinem xenophoben Altmänner-Gemecker" an "eine Figur von Wolfgang Menge" (während sich das Altpapier gestern an "eine Figur von Didi Hallervorden, der versucht, dem großen Diether Krebs seine Ehre zu erweisen", erinnerte). Beckmann nennt er einen "gewissenhaften Hütehund".

"Ein peinlicher Abend" meinen die sonst eher an Einschaltquoten (und die waren gut! vgl. dwdl.de) interessierten Kollegen von meedia.de. Es sei deutlich geworden, "wie dürftig die Integrationsfähigkeit exakt derjenigen ausgeprägt ist, die sich Integration, Kontakt und Beziehungsfähigkeit auf ihre eigenen Fahnen schreiben möchten."

"An diesem Mittwoch geht es bei Plasberg und Hart aber fair weiter. Mehr Sarrazin, mehr Niedergang, mehr Hype", freut sich Willi Winkler schon in der Süddeutschen (Seite 15). Wir freuen uns schon auf die Besprechungen am Freitag in den Zeitungen und am Donnerstag im Netz.

[listbox:title=Artikel des Tages[Sichtermann über Beckmann/ Sarrazin##Minkmar über Beckmann/ Sarrazin##Die beste Sarrazin-Debatte: die türkische (FAZ)##Neues aus der Rundfunkpolitik (SZ)]]

Den gedankenmächtigsten Beitrag auf der höchsten Debattenhöhe hat auch heute wieder, vermutlich ebenfalls von Beckmann initiiert, Frank Schirrmacher. Auf der FAZ-Titelseite argumentiert er, aus Charles Darwins Werken zitierend:

"Sarrazin meint faktisch 'Entartung' – daran kann angesichts der Quelle kein Zweifel bestehen –, aber er nennt das Wort nicht. ...
Es scheint, als habe ein Lektor alle 'anstößigen', aber historisch zutreffenden Begriffe aus dem Buch verbannt, damit die Botschaft historisch unkontaminiert an den Kunden gebracht werden kann. Oder aber: damit der Kunde nicht merkt, wohin die Reise mit Sarrazin geht."

Man stelle sich nun einmal vor, Beckmann hätte am Montagabend statt der Experten Ranga Yogeshwar, der derzeit bei jedem ihrer überzahlreichen Fernsehauftritte schlecht performenden Renate Künast oder des Sozialpädagogen Thomas Sonnenburg (über dessen Beitrag sich Minkmar nett lustig macht) als Überraschungsgast Frank Schirrmacher zugeschaltet.

Mit ein wenig Geschick hätte nicht viel gefehlt, und die Entartung hätte für Sarrazin werden können, was für Eva Herman bei Johannes B. Kerner einst die "Autobahn" war... Vielleicht klappt's ja heute bei Plasberg.

Jedenfalls, um zur "AG Beitragsstabilität" zurückzukehren: Was dort auch dringend auf den Tisch sollte: die Einrichtung einer Kommission für die Ermittlung des (tatsächlichen) Gesprächsbedarfs in den ARD-Talkshows.


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+++ Konstantin Neven DuMont ist wieder online! Bei meedia.de, in den Kommentaren unter der Meldung "DuMont: Gewinneinbruch um 96 Prozent", die sich auf Meldungen von WDR und EPD bezieht. Inhaltlich übrigens hat Neven DuMont da gar nicht so unrecht... +++

+++ Indes ein Konzern bzw "Medienkrake" (TAZ) mit Rekordgewinn: Bertelsmann (siehe auch kress.de). Und die Lektoren, die Thilo Sarrazin anstößige Wörter rausstreichen, wurden dennoch nicht weggespart. +++ "In diesem harmonischen Gleichklang guter Nachrichten fällt lediglich auf, wie peinlich Bertelsmann darauf bedacht ist, die Fortschritte im Geschäft mit digitalen Medien zu betonen. Gerade deshalb setzt sich der Eindruck fest, dass es hier noch viel zu tun gibt. Den Sprung in die Welt der digitalen Medien hat auch Bertelsmann noch längst nicht auf ganzer Linie vollzogen" (FAZ). +++

+++ Die SZ macht auf die von gawker.com initiierte Wikileaks-kritische Webseite wikileakileaks.org aufmerksam. +++ "Der größte Internetknoten der Welt" ist in Frankfurt am Main daheim. DE-CIX heißt er (FTD). +++ Myspace und Facebook werden Freunde (Tsp.). +++

+++ Was macht Google? Es "adelt AP" (also verhilft der amerikanischen Nachrichtenagentur zu einem guten Geschäft), "investiert in sozialen Wohnungsbau" (auch FTD)!? Und es "entscheidet, welche E-Mails wichtig sind" (zeit.de). +++

+++ Unter der Überschrift "Castell leitet Universum" (SZ-Medienseite) geht es dagegen nicht um einen Weltherrscher, sondern darum, dass ein Herr Bernhard zu Castell künftig die Geschäfte der nicht so ungemein bedeutenden Bertelsmann-Firma "Universum Film" führt. +++

+++ Falls Sie in den nächsten ein, zwei Jahren noch nichts vorhaben sollten: "Fünfzig Fernsehserien aus den letzten zehn Jahren, die man gesehen haben sollte (Teil 1)" beginnt heute die FAZ (S. 32) vorzustellen. Eine deutsche ist bislang nicht darunter. +++

+++ Ganz Berlin träumt von der IFA. Die Fernsehsender dagegen (also die, die nicht von der GEZ finanziert werden) "betonen, wie wichtig die IFA für sie nach wie vor ist - und bleiben ihr fern" (BLZ). +++

+++ Um eine Fernsehsendung, die heute nicht empfohlen wird, geht es in der FAZ. "Küsse, Schüsse, Rindsrouladen" heißt sie und läuft bei Sat.1. +++

+++ Und die TAZ-Kriegsreporterin guckte wieder dahin, wo es weh tut: "Dummerweise hat das Dritte Reich sechs, sieben Jahre zu früh schlappgemacht und konnte die Einführung der unglaublichen 3-D-Technik, die heute zur Rettung der Zeitungen reanimiert wird, Anfang der 50er Jahre nicht mehr erleben." +++


Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.