Wer ist hier Hitler?

"Pass the sauerkraut, Herr Chamberlain": frische Polemiken und Debatten auf allen Augenhöhen rund um Google. Außerdem: "Happy sexy 60", Iris Berben!

Hoppsala. Google ist Adolf Hitler? Nein, Google ist eher Neville Chamberlain, anno 1938 britischer Premierminister. Den Hitler macht wohl ein Vertreter der hierzulande weniger bekannten US-Telekomfirma Verizon: "Pass the sauerkraut, Herr Chamberlain".

Jedenfalls sind wir alle, die Netizens, in diesem Bild die "citizens of the Sudentenland", bzw. wie zeit.de Jeff Jarvis' jüngsten Blogeintrag "Internet, schminternet" übersetzt: "die Sudeten". Also die Bewohner des damaligen Sudetenlandes, die dessen Anschluss an die Nazidiktatur 1938 mehrheitlich begrüßten und nach dem Krieg ziemlich restlos vertrieben wurden... Aber um marginale Minidebatten der deutschen Papierpresse geht es Jarvis natürlich nicht.

Sondern um die Netzneutralität (siehe Altpapier gestern). In dieser Hinsicht gleiche die Google/ Verizon-Einigung dem "Munich Pact", dem Münchener Abkommen, wie der Top-Sündenfall der Appeasement-Politik vorm Zweiten Weltkrieg hierzulande heißt. "Der Vergleich ist hart. Aber er ist angebracht", meint Kai Biermann auf zeit.de, weicht in seinen historischen Analogien (Digitalien?) dann aber doch lieber ins Mittelalter ("Willkür, Kleinstaaterei und Zollschranken") aus.

Hmpf. Jedenfalls hat Jarvis (Foto) dem König der deutschsprachigen Discount-Polemik gezeigt, wo der Hammer hängt. Sascha Lobo griff am Dienstag (an dem er übrigens auch eine schmackhafte Rote-Bete-Suppe verzehrte, sehen wir gerade) in die laufende deutsche Google-Debatte mit einem neckischen "Google Street View-Widerspruch-Widerspruch" ein.

Wenn jetzt die in vergangenen Jahrzehnten beliebten Faschismusvergleiche reloaded werden, brennt natürlich die Frage, wer denn in der Streetview-Debatte bzw. in den Kiezen deutscher Großstädte künftig die Position des Blockwarts bekleiden wird: Nachbarn, die mit einem "so schwerwiegenden Eingriff in die Digitale Öffentlichkeit" (Lobo) wie einem Street View-Widerspruch aufgeschlossenen Netizens den Spaß verderben? Oder doch die, die vermuten, dass wer Widerspruch einlegt, ja wohl etwas zu verbergen haben muss.

[listbox:title=Artikel des Tages[Jeff Jarvis über den neuen "Munich Pact"##zeit.de übersetzt und kommentiert##Julius Endert über digitale Öffentlichkeit##Google vs. the world (google maps)##Iris Berbens Knackhirn (BLZ)##Neue Livereportage (Johannes Boie)##Französisch-chinesischer Agenturenpakt (TAZ)]]

Zum Schönen am Internet zählt aber auch, dass Debatten auf allen möglichen Augenhöhen stattfinden. Julius Endert hat u.a. auf Carta Lobos Instant-Konzept "einer digitalen Öffentlichkeit..., in der dann jeder offenbar automatisch Mitglied" und, sofern er das nicht uneingeschränkt will, "als Offliner aus einer vergangen Zeit" disqualifiziert ist, einmal so ernst genommen wie die Argumente der Streetview-Gegner. Und den bislang wohl besten deutschsprachigen Text zu dieser Debatte geschrieben. U.a. argumentiert er:

"War es ... bis zu Beginn des digitalen Zeitalters so, dass der (gegen seinen Willen) abfotografierte Mensch in der Regel in irgendeinem privaten Fotoalbum landete, maximal für einen Tag in der Zeitung, so wird er heute (unfreiwillig) zum Bestandteil eben jener digitalen Öffentlichkeit. Auffindbar für jeden und für alle Zeit. Und nicht nur das: Niemand weiß, in welchem Mashup sein Bild, in welcher Werbeform sein Straßenzug oder sein Haus verarbeitet wird. Die Erscheinung in dieser digitalen Öffentlichkeit ist von ihm nicht mehr von keinem ihrer Mitglieder mehr zu kontrollieren. Nur der Organisator dieser Öffentlichkeit hat dazu alle Möglichkeiten,..."

Historische Vergleiche, fundiertere, sind ebenfalls enthalten. Gegen Ende heißt es:

"Google Streetview, Google Maps und Google Earth sind alles Formen der Kartografie, der Abbildung unserer Welt in noch nie gekanntem Ausmaß. Wer die Karte beherrscht, regiert die Welt (oder so ähnlich) lautet ein Spruch aus den Zeiten der Eroberer, und da ist auch heute noch was dran."

Damit zur FAZ-Medienseite 33, die heute ein Mashup aktueller deutscher Streetview-Reaktionen enthält. Dort meint Stefan Keuchel, einer der Google-Sprecher, "die skeptische Haltung vieler Deutscher (sei) 'historisch bedingt'" (was wahrscheinlich wieder in die Nazizeit führt, aber nicht vertieft wird), und gibt zu: "Die Verkündung der Frist" von vier Wochen, in denen Streetview-Betroffene Widerspruch vor Veröffentlichung einlegen können, "während der Ferien sei 'kein besonders günstiger Zeitpunkt' gewesen."

Freunden der digitalen Kartographie gibt die FAZ den Hinweis auf eine gerade beliebte "Weltkarte..., auf der das Analyse-Unternehmen 'Aqute Intelligence' zeigt, in welchen Ländern Klagen gegen Google Street View laufen".

Diese "Google vs. the world"-Weltkarte ist natürlich auf maps.google.com zu haben. Mehr Google gleich hinter Iris Berben im Altpapierkorb.


Altpapierkorb

"Knackhirn statt Knackarsch": Da gratuliert Klaudia Wick in der Berliner Zeitung ganz begeistert Iris Berben zum 60. Geburtstag: "Fast rastlos dreht die Wahl-Berlinerin auch in ihrem sechsten Lebensjahrzehnt Film um Film... Glückwunsch! Und ein langes Leben!" +++ Norbert Körzdörfer (Bild-Zeitung) würde sogar sagen: "Sie raucht. Sie trinkt. Sie liebt. ... Katholische Mädchenschule (3-mal geflogen!). Wildes Leben! Fotomodell! Drogen! 2 Selbstmordversuche!... 60 sind die neuen 40! Happy sexy 60!" +++ Übersichtlich Berben-Fotos auch aus Jahren, in denen "Deutschlands profilierteste Fernsehschauspielerin" (Wick) auch mal in interessanten Rollen auftrat, bietet faz.net. +++

+++ Zurück zu Google und Streetview. Gestern verschickte Google in recht säuerlichem Tonfall ("Zahlreiche Nutzer haben uns darauf hingewiesen, dass das Verfahren, wie Bürger Google mit der Unkenntlichmachung ihres Hauses/ihrer Wohnung auf Street-View-Bildern beauftragen können, in der Berichterstattung teils unvollständig oder missverständlich beschrieben wird") eine E-Mail, die z.B. hier dokumentiert ist. +++ Ungefähr aus diesen Gründen bzw. für papierversessene Hardcore-Offliner erscheinen ab heute ferner Google-Anzeigen in Printmedien, z.B. im Stern, die Carta dokumentiert. Inhaltlich bieten sie Onlinern nichts neues. +++"Zorn" des Deutschen Mieterbundes hat die Frankfurter Rundschau exklusiv. +++ Und Thomas Darnstädt , Autor des Spiegel-Buchs "Der globale Polizeistaat", findet die Angst vor Streetview "lächerlich" (SPON). +++
 

+++ Wenn wir schon bei bild.de waren: Berechnungen leider ungenannter Experten zufolge, als deren Sprecher aber FDP-Medienpolitiker Burkhardt Müller-Sönksen fungiert, würden ARD und ZDF durch die neue Haushaltsabgabe "1,2 bis 1,6 Milliarden Euro pro Jahr" mehr einnehmen als bisher durch die GEZ. Wenn das so wäre und damit der Ausstoß an Iris-Berben-Filmen erhöht würde, dann wären ja vielleicht wieder alle zufrieden... +++

+++ Michalis Pantelouris' Livereportage ist abgeschlossen, die nächste beginnt: Johannes Boie macht in seinem Blog bei sueddeutsche.de seine "recht spannende" Recherche mit offenem Ausgang öffentlich. Es geht um "Gangs in Los Angeles". +++

+++ Der Tagesspiegel stellt den "ersten Kriminalfilm, der ausschließlich über das Web realisiert werden soll", vor. Er heißt krimi2null.de. Dort lassen sich gerade zehn Wellness-Gutscheine ("nach dem anstrengenden Voting-Marathon") gewinnen. +++ Noch weit von seiner Verfilmung entfernt: der Fall Kachelmann. Der Tsp. beleuchtet ferner den Wirtschaftskrimi hinter den Kulissen der Meteomedia AG. +++

+++ Der Ethik des Lecks ist, wg. Wikileaks, der Freitag auf der Spur. Wann Lecks "gut" oder "schlecht" sind, sei aber noch nicht entschieden. +++ Ferner interessiert sich ders. für den Focus unter dessen neuem Chefredakteur Wolfram Weimer, der unverdrossen seinem "Traum von der Renaissance der bürgerlichen Intellektualität" anhänge. +++

+++ Derweil zündete sich Udo Röbel "in einem Café in der Nähe des Hamburger Rathauses" nicht bloß eine Marlboro an und erzählte Simon Feldmer so einiges, was dieser in seinem großen Bericht über die Lage der gedruckten Magazine wiedergibt (Süddeutsche, S. 13: "Wer dauerhaft Erfolg haben will, braucht eine Nische, Geduld und Geld"). +++ Aber auch "Für guten Journalismus im Netz würden Leser bezahlen: Man muss ihnen nur erklären, warum", argumentiert Stephan Ruß-Mohl in der Zeit (S. 29). "Zitronenmärkte", "Ralph-Lauren-Strategie" und "Tom-Sawyer-Geschäftsmodell" lauten diesbezügliche Fachbegriffe. Wie genau dieses Erklären geht, bleibt aber vorläufig unklar. +++

+++ Vielleicht verhilft zum o.g. Erfolg auch ein "Pakt mit dem Teufel". Unter der Überschrift vertieft in der TAZ Daniel Bouhs, u.a. Nachrichtenagenturexperte, die gestrige Meldung über die Kooperation der Agenturen AFP und Xinhua. +++

+++ Sibel Kekilli freute sich im Goethe-Institut in Mexiko auf ihre Rolle im "Tatort" aus Kiel (BLZ). +++ Aus Argentinien indes stammt die Vorlage der allerneuesten GEZ-finanzierten Telenovela, deren trendy Name "Lena" "schon vor dem Triumph von Oslo" festgestanden haben soll. Es produzieren die Oscar-Gewinner Max Wiedemann und Quirin Berg ("Das Leben der Anderen") gemeinsam mit Endemol, berichtet Marcus Bäcker (BLZ, KStA). Bemerkenswert sei auch noch, "dass viele Journalisten ständig nach Marktanteilen fragen und anschließend beklagen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ständig über Marktanteile reden." +++


Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.