Aufbruchsstimmung in der Niedergangssaga

Die traditionsreiche Newsweek geht zum symbolischen Schnäppchenpreis in eine ungewisse Zukunft unter einem fitten 92-Jährigen. In Deutschland dagegen soll gehobener Kinderjournalismus auf Papier boomen.

Eine ganz gute Zeitschrift für einen Dollar - das klingt nach einem guten Geschäft, zumal ein Dollar in Euro derzeit knapp 0,76 Cent entspricht. Man muss nur aufpassen, solange man nicht Tycoon und Philanthrop zugleich ist, wirklich nur ein Exemplar der Zeitschrift zu erwerben. Und sich nicht noch den ganzen Verlag mit hunderten Angestellten aufzuhalsen, die weiterhin bezahlt oder zumindest entlassen werden müssen.

Das ist die Lehre aus dem neuesten Kapitel der Niedergangssaga der glorreichen US-Presse, das heute weite Verbreitung in den deutschen Medienmedien findet.

Sidney Harman, "der inzwischen über 90 Jahre alt ist" (KStA via AFP) bzw. am heutigen Mittwoch 92 Jahre alt wird und 1952 das HiFi-Unternehmen harman/kardon, Inc. gründete, hat das noch traditionreichere Magazin Newsweek gekauft. Vom Gerücht, dass dieses lediglich den symbolischen Preis von einem Dollar kostete, schreiben z.B. sueddeutsche.de und Jordan Meijas in der FAZ, der auf deutsch am relativ ausführlichsten berichtet. Von diesem Ein-Dollar-Preis erfuhr offenbar zunächst die US-Webseite adage.com, aber auch nur "reportedly".

Harman wird als Tycoon, Philanthrop sowie "Magazinliebhaber" bezeichnet, der natürlich jede Menge Schulden mit übernommen haben und viele der Newsweek-Angestellten weiterbeschäftigen wollen soll. Vielleicht behalten "die meisten der 350 Beschäftigten ... ihren Job" (Süddeutsche), vielleicht fallen "rund 120 der 375 Arbeitsplätze weg" (sueddeutsche.de). Jedenfalls, "ein neues Konzept für das sterbende Genre des wöchentlichen Nachrichtenmagazins zu finden, wird ... für Harman eine formidable Herausforderung" (BLZ).

Doch hat sich "Harman, der als Chef kein Mikromanager sein soll, ...sogleich zu seinem Glauben an die Printmedien bekannt" (FAZ). Das entsprechende, Aufbruchsstimmung vermittelnde Bekenntnisvideo hat newsweek.com online gestellt. Hier macht das betagte Geburtstagskind zumindest einen ausgesprochen fitten Eindruck.
(Freilich, wenn neben dem Video die Klickstrecke "12 Secure Jobs for the Next Decade" steht, in der als einer der zukunftssicheren Berufe "Mortician/funeral director" auftaucht und das Berufsfeld "Entrepreneurship" mit einem Foto aus der Hundemaniküre-Branche illustriert ist, dann mag sich die Newsweek-Belegschaft auch da unterschwellig etwas gedacht haben...).

[listbox:title=Artikel des Tages[FAZ über den Newsweek-Handel##Sidney Harman Greets Newsweek (Video)##"12 Secure Jobs for the Next Decade" (Newsweek-Klickstrecke)##Tsp. über "gehobenen Kinderjournalismus"##Stadelmaier über "Presseähnlichkeit" (Carta)##Die Wikileaks-Affäre II (FAZ)##Nur lesen, nicht angucken (TAZ über Steinbrück-TV-Porträt)]]

Hier in Deutschland leben die Wöchentlichen noch, hier können zum Glück noch keine solchen Niedergangssagas geschrieben werden. Die Verlage setzen weiter auf "die Macht des bedruckten Papiers". Das erfuhr zumindest der Tagesspiegel, als er sich einen Überblick über das womöglich sogar boomende Genre des "gehobenen Kinderjournalismus" verschaffte. Zumindest äußern sich die Manager begeistert. "Wir haben gewissermaßen zwei Zielgruppen: die Jugendlichen und deren Eltern", enthüllt die Verlagsleiterin von Yuno (Gruner+Jahr), Antje Schlünder, ihr pfiffiges, von Johnny Depp verkörpertes Konzept.

Aber auch das hoch digitale Blog Carta hat einen Narren am Papier gefressen, oder zumindest mit dem gedruckten Magazin Promedia einen neuen Kooperationspartner, der eigentlich nur besonders eingefleischte Papier-Leser anspricht. Denn die Interviews mit Medienmenschen, aus denen dieses Heft (das Medienbeobachter kennen, weil es am Rande vieler Medienkongresse ausliegt) nahezu ausschließlich besteht, fallen in erster Linie durch ganz besonders lange Antworten auf und erinnern daher eher an Auslassungen von Pressereferenten als an gesprochene Gespräche. In zweiter Linie fallen sie durch wenige, karge Fotos auf.

Jetzt präsentiert Carta, optisch nicht unähnlich, auszugsweise ein Interview mit (bzw. zwei Fragen an und zwei sehr lange Antworten von) Martin Stadelmaier, der grauen Eminenz der sozialdemokratischen sowie deutschen Medienpolitik. Stadelmaier erklärt sich mit dem merkwürdig upgedateten Rundfunk-Begriff, den Hans-Jürgen Papier kürzlich im Auftrag der ARD-Rundfunkräte er-gutachtete, einverstanden. Zur "Presseähnlichkeit" von Internetangeboten sagt er u.a.:

"Weiterführend halte ich daher eine Orientierung an den Gestaltungsmerkmalen von Zeitungen und Zeitschriften. Charakteristisch dafür sind Text/Bildkombinationen, die eine Spaltensetzung kennen, zudem unterschiedlich gestaltete Überschriften und unterschiedliche Satzgrößen. Es geht also um Gestaltungsmerkmale, die für den Nutzer nahelegen, dass er sich dem Angebot wie einer Zeitung zuwendet."

Herrje. Wirklich verständlich ist das wohl nur der gehobenen Medienministerialbürokratie. Aber aufschlussreich für den besorgniserregenden Zustand der deutschen Entscheidungsträger-Debatten ist es.
 


Altpapierkorb

+++ Was immer gern gelesen wird: Agententhriller. In der FAZ schreibt Detlef Borchers, basierend auf US-Quellen, die Wikileaks-Affäre dramatisch fort: "Stimmen die Angaben, werden amerikanische Bürger in größerem Stil überwacht als bisher angenommen, mit steigender Tendenz: 'Project Vigilant' will die Zahl seiner Freiwilligen auf 1600 aufstocken". Und dieses Projekt könnte auch, anders als bisher vermutet, den inhaftierten Wikileaks-Informanten Bradley Manning erst reingeritten haben. +++ Mysteriösem, das tief in die deutsche Vergangenheit reicht, u.a. in die 1930er und 1950er, geht Hersch Fischler nach. Ein Porträt dieses umstrittenen Investigators stand - ein Link in eigenerer Sache - im Tagesspiegel am Sonntag. +++

+++ Ist ein "medialer Volksgerichtshof" eine Art innerer Reichsparteitag? Jedenfalls gab Wolfgang Kubicki, FDP-Politiker aus Schleswig-Holstein, aber auch Strafverteidiger, in letzterer Eigenschaft der TAZ ein Interview zur Kachelmann-Sache. +++

+++ Das ist mal eine richtig lesenswerte Fernsehbesprechung einer offenbar weniger empfehlenswerten Sendung: Jens Müller in der TAZ über das Peer Steinbrück-Porträt des "an sich selbst" scheiternden Regisseurs Stephan Lamby. +++ Klaudia Wick würde soweit selbstverständlich nicht gehen. +++

+++ Hingegen sehenswert: die Reportagen der ARD über KiK (nicht zu verwechseln mit Kika). Siehe TAZ, Tagesspiegel, BLZ. +++ Und Katharina Thalbach in "Der Mond und andere Liebhaber" (Tsp.). +++

+++ Womöglich auch besorgniserregend: der Zustand von Sky, dem deutschen Pay-TV, das wiederum die Bundesliga so üppig finanziert. Nein, nicht besorgniserregend, versucht Geschäftsführer Brian Sullivan im SZ-Interview abzuwiegeln. +++

+++ Ferner berichtet die Süddeutsche über die Anregung des Adam Smith Institute, die Rundfunkgebühren für die BBC abzuschaffen, denn die sei "in Wahrheit eine subventionierte Unterhaltungsfirma mit ein paar nicht-kommerziellen Verpflichtungen". Frei online dazu verfügbar: ein bericht des Guardian. +++  "Praktisch laufen - geht es um ausländische Einkäufe - im deutschen Programm nur amerikanische Produktionen sehr gut“, sagt ZDF Enterprises-Geschäftsführer Alexander Coridaß (Tsp.) - der allerdings diskutable US-Produktionen nur in der Digitalnische Neo auszustrahlen wagt. +++ "Kein Duckmäuschen", sei die TV-Produzentin Kerstin Ramcke, "aber eine, die nicht zwei Handys gleichzeitig am Ohr braucht, um Geschäftigkeit zu demonstrieren", dichtet das Hamburger Abendblatt im Rahmen einer richtig schönen Sommerloch-Reihe namens "Der kluge Kopf dahinter". +++

+++ Das neue Anti-Facebook namens "Diaspora“ stellt Carta vor. +++

+++ Und die heißesten Personalien aus der Schickeria von München-Schwabing... pardon: -Grünwald, die hat natürlich immer noch als erstes die Süddeutsche: Nun wird Til Schweiger von Fred Kogel beraten. Beide "waren an diesem Dienstag nicht zu erreichen". +++
 

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