Die Vernetzung der Welt

Alle versuchen zu fassen, was der Wikileaks-Coup bedeutet (und was das Unglück in Duisburg). Eva Herman geht gar nicht, außer klickmäßig. Immer verlinken inzwischen alle einander...

Der zumindest in medialer Sicht ziemlich einzigartige Scoop oder Coup, den Wikileaks, die "staatenlose Nachrichtenorganisation" (Carta), und vielleicht auch ihre media partners, die amerikanische Tageszeitung New York Times, die britische Tageszeitung Guardian und das deutsche Magazin Der Spiegel, am Montag gelandet haben, wurde hierzulande in seiner Wahrnehmung überschattet. Das gewaltige Unglück auf der Duisburger Love Parade ist das größere Medienthema.

Eine Art internationales Altpapier zum Wikileaks-Thema veröffentlichte Carta am Montag. Heute vergleicht auch die TAZ, wie die internationalen Medienpartner "die mehreren Wochen, in denen die Redaktionen die Dokumente bis zum gemeinsam verabredeten Zeitpunkt der Veröffentlichung vorliegen hatten (genauere Angaben darüber, wann sie die Dokumente übergeben haben, machte Wikileaks nicht)", genutzt haben:

"Worin sie sich unterscheiden, ist die Art der Aufbereitung und der Präsentation. Während die New York Times eher sachlich-unaufgeregt daher kommt, ruft der Spiegel den 'Super-GAU für Amerikas Militär' aus."

Am meisten Lob verdiene der Guardian, etwa für die "interaktive Übersicht über 200 Schlüsselereignisse mit einordnenden Informationen dazu"; "für den Spiegel sind die Dokumente auch ein Grund, sich selbst zu feiern", meint die TAZ. Carta sah es ähnlich und sprach, mit Bezug auf Thomas Knüwer wiederum, vom "Scheitern des Spiegel".

Man kann das alles auch anders sehen. Zumal es ja Zeit braucht, 27.078 enemy actions und zehntausende weitere jetzt veröffentlichte Dokumente zu überfliegen, um einzuschätzen, was sie bedeuten könnten. Auf der Meinungsseite der Süddeutschen ärgert sich heute Paul-Anton Krüger über die Strategie des Wikileaks-Gründers Julian Assange, "die Bekanntheit von Wikileaks zu steigern und die Finanzierung durch Spenden zu sichern."

Die von Steven Aftergood (allerdings vor dem aktuellen Scoop/ Coup schon im Juni) gegen Wikileaks erhobenen Vorwürfe, "Informationsvandalismus" zu betreiben und ein "Feind einer offenen Gesellschaft" zu sein, will die Süddeutsche nicht unterstützen. Die zitiert sie bloß. Vielleicht aber ein noch schlimmerer Vorwurf: Sie vergleicht Wikileaks mit George W. Bushs US-Regierung, die einst

"ähnliche Splitter missbrauchte, um ihren Krieg gegen den Irak mit der angeblichen Existenz von Massenvernichtungswaffen zu rechtfertigen."

Die Neue Zürcher Zeitung sieht auch hier mal wieder den Journalismus in Gefahr:

"Der Masochismus eines Berufsstandes, der auf seine eigenen Leistungen nicht viel gibt, und die einseitige Wahrnehmung der Öffentlichkeit erhalten durch Wikileaks eine neue Dimension. (...) Sie [die von Wikileaks erzielte Wirkung] kehrt die mediale Rangordnung um: Nicht 'New York Times' und 'Spiegel' betreiben investigativen Journalismus, sondern sie drucken die investigativen Produkte Dritter."

Klar, dass die NZZ auch die Erfahrungen im Hinterkopf hat, die die ebenfalls in Zürich, aber teils auch auf den Cayman Islands ansässige Privatbank Julius Bär mit Wikileaks schon machte (vgl. Wikipedia).

Vielleicht auch noch interessant: ein Stimmungsbild aus den USA, von dem die FAZ (S. 2) berichtet: "In der jüngsten Meinungsumfrage der Zeitung 'Washington Post' und des Fernsehsenders ABC News sagten 53 Prozent der Befragten, der Krieg sei die Kosten nicht wert."

[listbox:title=Artikel des Tages[TAZ vergleicht Wikileaks' Medienpartner##Carta vergleicht Wikileaks' Medienpartner##Süddeutsche kritisiert Wikileaks##TAZ über Bild-Berichte zu Duisburg##TAZ über die Herman-Diskussion##Lob des soukmagazine.de (Tsp.)]]

Damit zum deutschen Brennpunkt Duisburg.

Ausführlich versuchen Journalisten wie andere Menschen auch zu fassen, was dort geschehen ist. Dennoch drängt zum Thema ebenfalls hochgradiger Agenturenquatsch in die Medien. "Das Interesse an der Fernsehberichterstattung zur Katastrophe von Duisburg lässt nach", meldet die FAZ auf S. 6 mit DPA. Da geht es um die Einschaltquoten des dritten ARD-"Brennpunkt" in Folge im Vergleich zu denen von Tine Wittlers Reihe "Einsatz in vier Wänden" auf RTL.

Am verbreitetsten heute die auch DPA-verbreitete Meldung von den schon mehr als 150 Beschwerden, die wegen Medienberichten zu Duisburg beim Deutschen Presserat eingingen und sich größtenteils auf die Bild-Zeitung und bild.de beziehen. Am differenziertesten bereitet wiederum die TAZ auf, was dahinter steht.

Über dieses Thema wird natürlich überall und auf allen möglichen Ebenen diskutiert. Bekanntlich (siehe Altpapier gestern) auch von Eva Herman, die medial betrachtet einerseits gar nicht geht und andererseits immer geht: klickmäßig. Vermutlich gibt es nirgends "Meistgeklickt"-Charts, in denen tagesaktuelle Eva Herman-Zusammenfassungen nicht führende Positionen innehaben.

Zur aktuellen Herman-Lage ist gleich noch einmal taz.de zu empfehlen, wo Paul Wrusch das "Paradox, dass Islamisten wie Islamfeinde außnahmsweise auf einer Seite stehen" nicht nur notiert, sondern auch mit den entsprechenden Hyperlinks, unter anderem zu "politically incorrect" wie zu ahlu-sunnah.com, verlinkt.

Während Islamisten und deren Gegner sogar ähnliche Argumente haben, führen aktuelle Herman-Gegner ganz unterschiedliche Gründe an. Stefan Niggemeier z.B. fand einfach Hermans Text "dumm und unanständig". In den Kommentaren zum (selbst eher pro Herman argumentierenden) Beitrag der hardcore-katholischen Webseite kreuz.net stieß Wrusch auf Zeitgenossen, die Hermans Lebenswandel unanständig finden, und zitiert: "Woher eine Frau, die in einer sogenannten vierten Ehe der außerehelichen Unzucht nachgeht, diese Frechheit nimmt, das ist wirklich ein Geheimnis…"

Vielleicht hat taz.de all das gegoogelt und gefunden, vielleicht auch einige Links von Udo Ulfkotte entnommen, der auf info.kopp-verlag.de (also Hermans Homenische) gern die jüngste Herman-Aufregung notierte und weitertrieb. Und damit wiederum auch im taz.de-Artikel vorkommt ("Da springt Eva Herman einer zur Seite, dessen Beistand sie noch mehr ins Abseits rückt")...

Das ist vielleicht das Schöne an der schlimmen Sache: Inzwischen verlinken alle einander, von Afghanistan bis New York, London und Hamburg und sogar in Deutschlands irre ausdifferenzierten Parallelgesellschaften. Die Vernetzung der Welt hat diese Woche gewaltige Fortschritte gemacht. Ob das der Welt hilft, muss sich nun zeigen.
 



Altpapierkorb


+++ Was immer man vom neuen Online-Layout der Frankfurter Rundschau hält: Es ist zumindest weiterhin weniger lesefeindlich als das der Berliner Zeitung, wie z.B. Antje Hildebrandts Interview mit Peter Voß, dem Ex-Intendanten des SWR und jetzigen Präsidenten der Quadriga-Hochschule "über das schwierige Verhältnis von Journalismus und PR" zeigt. Voß' letzter Satz darin ist einer, den man sich merken könnte: "Im Übrigen ist ja jeder Intendant auch der oberste Lobbyist und PR-Mann seines Senders und damit auch der Journalisten dort." +++ Eine andere DuMont Schauberg-Webseite, die entmenschte Netzeitung, taucht auch mal wieder auf: in der Liste der größten Traffic-Verlierer auf meedia.de. +++

+++ Der Süddeutschen liegt ein ausführlicher E-Mail-Wechsel zwischen Julia Stein, der Redaktionsleiterin des (auch heute wieder zur Ausstrahlung anstehenden) NDR-Medienmagazins "Zapp", und Bild-Zeitungs-Chefredakteur Kai Diekmann vor. Marc Felix Serrao schließt: "Bild ist heute ein Blatt von vielen. Mal doof. Mal gut. Kurz: stinknormal. Man regt sich nicht mehr auf, sondern lächelt über den Komödianten an der Spitze. Das ist das Erbe Diekmanns". +++

+++ Außerdem fragte die SZ wegen der italienischen RAI-Idee, im Fernseh-Fußball auf Zeitlupen zu verzichten, bei ARD-Programmdirektor Volker Herres nach. "Einen Verzicht auf Wiederholungen von strittigen Szenen kann ich mir bei uns nicht vorstellen", so die exklusive Auskunft (Seite 15).+++

+++ Doch nix wird's mit der von Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) ersonnenen "Mediencharta" (Tagesspiegel). +++

+++ Die FAZ-Medienseite 31 ist ganz dem Fernsehen gwidmet (Herbert Knaup vielleicht als "Tatort"-Kommissar aus dem Allgäu; "Friedliche Zeiten" - siehe auch Tsp., BLZ, TAZ - ; "krimi.de", und ganz besonders "Cougar Town" (sonntags auf Sat.1): "Hätte das amerikanische Fernsehen mit Serien wie 'Everybody Hates Chris', '30 Rock' und 'Nurse Jackie' in den vergangenen Jahren nicht eine ganze Reihe von hintergründig komischen Sitcoms mit reifen Frauen in der Krise geschaffen, würde das infantile Mittelmaß von 'Cougar Town' vielleicht nicht so deutlich ins Auge stechen. Man fragt sich bloß mit wachsender Verzweiflung, warum die Damen dem trostlosen Spektakel nicht den Rücken kehren", fragt Nina Rehfeld. +++

+++ Joachim Huber im Tagesspiegel erinnert melancholisch an die Musikkassette, ans Mixen und Tapen. Erster Kommentar darunter: "Stimmt schon, aber ... meine Musikkassetten von Anno 1980 funktionieren fast alle noch sehr gut, meine selbstgebrannten CDs aus den frühen 90ern hingegen nur zum Teil." +++

+++ Und dann stellt ebd. Ferda Ataman das Axel-Springer- wie Grimme Online-Preis-gekrönte soukmagazine.de vor, auch als "Trainingsort für multimedialen Journalismus": Das "Lieblingsprodukt" des Mitgründers Marc Röhlig "ist das Slideshow-Programm 'Vuvox', mit dem er seine Reportage 'Morgenlandfahrt' zu einer Collage umgewandelt hat". +++


Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag