Happy Problems

Erstaunlich enstpannt verkündet der Zeitungsverband seine neuen Krisenzahlen. Und landet damit sogar in den ARD-"Tagesthemen", die den "unschlagbaren Vorteil" des Papiers hübsch dramatisieren.

Als der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust gestern abend im Institut für Medien- und Kommunikationspolitik gastierte, ging es natürlich auch um die top- oder ziemlich aktuelle Frage, ob denn nun die ARD durch die neue Haushaltsgebühr ab 2013 viel mehr oder viel weniger Gebühren- bzw. Beitragsgeld als sowieso schon einnehmen wird.

Es gebe bislang bloß worst case-, middle case- und best case-Szenarien, sagte der im Rechnen äußerst routinierte Boudgoust. In seinem SWR sei man durch eine middle case-Berechnung auf 15 Prozent weniger gekommen und beginne daher, in dem Ausmaß einzusparen. Sollte es better kommen, hätte der SWR ein "happy problem", scherzte Boudgoust.

Happy Problems sind eigentlich nicht zu erwarten, wenn BDZV seine Jahrespressekonferenz abhält. Schließlich ist der Zeitungsverlegerverband einer der beiden Verbände, mit denen die Branche "gleichzeitig demonstrieren will, dass es ihr bestens geht ... und dass sie im Sterben liegt" (Stefan Niggemeier neulich über den VDZ).

Gestern vormittag allerdings muss Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff eine recht entspannte Show geboten haben. Er startete mit einem ironischen Scherz über die Rechte der Fotos von ihm, die nach einmaliger Nutzung "dem Verband zu übertragen" seien, so wie bei Stevie Wonder-Auftritten, berichten BLZ/ FR:

"'Schluss mit dieser Pressegängelung', forderte Wolff - und ließ sich, trotz durchgeschwitztem Hemd, während der gesamten Pressekonferenz fotografieren",

schreibt Dativ-rettend Ulrike Simon. Natürlich performte Wolff auch gute alte Verlegerverbands-Klassiker wie den Ärger über "Einkauf aktuell" (siehe etwa Tagesspiegel), das Briefkastenfüllmaterial der Deutschen Post. Bei der Wiedergabe der harten News zeichnet sich aber ein erstaunlich variantenreiches Bild ab.

Im Jahr 2009 sind die Anzeigenerlöse der Zeitungen stark, um 16 Prozent, gesunken. Also: "Zeitungsgeschäft weiter rückläufig" (meedia.de), Verleger "sehen schwierige Zeiten" (evangelisch.de). Dagegen stiegen die Vertriebserlöse um 2,3 Prozent. Das Handelsblatt überrascht mit der Überschrift "Verkaufserlöse erstmals höher als Anzeigenumsatz" und berichtet in positiver Tonalität (Bildunterschrift: "Die deutsche Zeitungslandschaft geht neue Wege"). Vielleicht kann mal jemand McKinsey beautragen, aus der Perspektive einer weniger Werbungs-fixierten Presse einen neuen unique selling point zu entwickeln?

Damit nun aber keine Missverständnisse aufkommen: Die gestiegenen Einnahmen aus dem Verkauf haben nicht mit Auflagensteigerung, sondern mit erhöhten Preisen zu tun.

[listbox:title=Artikel des Tages[BLZ über Verleger-PK##"Tagesthemen" darüber (Video, nicht elektr. Presse)##Verkaufserlöse höher als Werbeeinnahmen (HB)##"Scheiße. Ist Walser. Müssen wir machen"]]

"In der Zeitungsbranche sind die Zeiten so hart wie noch nie", formulierte es Tom Buhrow. Offenbar, weil der BDZV diese Pressekonferenz statt im Haus der Presse (in dem er wie der VDZ sitzt) in der Bundespressekonferenz abhielt, erzielte er einen besonderen Reichweitenerfolg und landete gestern in den "Tagesthemen". Buhrow erklärte dem breiten Publikum, wie sich das Internet ins Kerngeschäft der Zeitungshäuser "frisst" - und das einmal ganz ohne kriegerische Untertöne, ohne den sonst selten fehlenden Hinweis, dass das Internet aber auch eine Säule des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei oder sein soll (oder dass man weitere Informationen auf tagesschau.de findet - das sich Verlegerlobbyisten früher gern ausdruckten, um damit zu wedeln, wenn sie von öffentlich-rechtlicher "elektronischer Presse" sprachen).

Den "Tagesthemen"-Bericht selbst findet man natürlich dort. Auch da fehlen Klassiker der modernen Verlegerklage nicht (Hans-Joachim Fuhrmann/ BDZV über Apple: "Was heute ein fehlender Bikini ist, ist morgen vielleicht ein politischer Artikel"). Aber hübsch dramatisiert ist er. Es beginnt in einem sommerlichen Biergarten, in dem ein junger Mann Zeitung (die Berliner Zeitung, deren Chefredakteur Uwe Vorkötter dann auch auftritt) liest, eine junge Frau dagegen auf ihren Laptop schaut (auf taz.de, dessen Projektleiterin Nina Schoenian ebenfalls zu Wort kommt).

Am Ende des Dramoletts ist im Biergarten der Laptop-Akku leer. "Papier hat eben doch einen unschlagbaren Vorteil", sagt der Sprecher.



Altpapierkorb

+++ Es gibt auch eine neue Kampagne gegen Zeitungen. Nicht gegen alle, bloß "gegen rechte Zeitungen!". Das linke Neue Deutschland berichtet. In einem klugen Artikel in der Süddeutschen (S. 15) fragt Marc Felix Serrao sich, "was für ein Toleranzverständnis Organisationen wie Verdi und die Jusos haben, wenn sie propagieren, dass Positionen, die sie selbst ablehnen, de facto mundtot gemacht gehören": Die Aktion helfe "den vulgärnationalen Proleten bei der Arbeit an ihrem Unterdrückungsmythos", und "wenn man sich diesen Bund der Vertreibenden anschaut, dann weiß man, was es auch nie wieder geben darf." +++

+++ Dass Details der oben erwähnten Haushaltsabgabe noch lange nicht feststehen, zeigt der Tagesspiegel am Beispiel des Handwerksverbands auf, der einen Offenen Brief an die Ministerpräsidenten schrieb. +++

+++ Eigentlich wollte der Kicker an diesem Mittwoch seinen 90. Geburtstag feiern. Doch das fällt aus, weil gerade Karl-Heinz Heimann, mit 85 Jahren, gestorben ist (Tsp., kicker.de). +++

+++ Falls jemand meine sollte, das öffentlich-rechtliche Fernsehprogramm sei gerade zu anspruchsvoll - dem kann geholfen werden. Heute startet die ARD wieder "Deutschland, deine Künstler", und zwar mit einem Film über Peter Maffay. Dazu Holger Gertz in der SZ: "Die Reihe stellt ausschließlich medienerprobte Stars vor, das ist ein Problem... Der Mensch als Interpret seiner selbst: Maffay beschreibt sich so, wie er sich sieht, und der Film illustriert oft nur das, was er routiniert über sich sagt." Weitere Künstler des Formats, dem sich der Tsp. deskriptiv nähert, sind Doris Dörrie, Ulrich Tukur, Katharina Thalbach, Helge Schneider. +++ Andererseits startet die wieder die ZDF-Kleines-Fernsehspiel-Reihe "Gefühlsecht" - aber trotz aller Sommerpausen um 23.15 Uhr. Es geht los mit "Leroy", der "das Thema Rassismus mit grotesken Überzeichnungen statt Moralkeule" behandele (TAZ). Siehe auch KStA. +++

+++ Vielleicht auch bald ein Fall für "Deutschland, deine Künstler", jedenfalls nun definitiv einer für die ARD: Günther Jauch. Auch das WDR-Gremium stimmt zu (dwdl.de). "Lediglich eine Gegenstimme gab es" (SZ, S. 15). +++ Eigentlich kein Medienthema, aber eine Aufforderung zum Handeln an all die öffentlich-rechtlichen Talker: "Die Bahn ist zu einem billigen Mitschwätzthema verkommen, bei dem alle mal erzählen können, was sie so alles Schlimmes mit den schnellen und langsamen Zügen oder mit einem der rund 240.000 Mitarbeiter der Bahn in den vergangenen 40 Jahren erlebt haben" (Philipp Gessler, TAZ). +++

+++ Die heute kleine FAZ-Medienseite 31 interviewt Schauspieler Henning Baum ("Der letzte Bulle“ auf Sat.1) und informiert über den Deutschland-Besuch Ezatollah Zarghamis, des "Brigadegenerals der iranischen Revolutionsgarden und Chefs des Staatssenders IRIB". Und vermeldet Radio Paradisos "Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Entzug seiner Sendelizenz". Über dessen gerade ermittelten Erfolg bei Hörern berichtet der Tsp.. +++

+++ Immer antizyklisch, diese USA: "US-Magazine, unterschiedlich alt, verzeichnen zum ersten Mal seit 2007 ein leichtes Plus bei den Anzeigenerlösen" (TAZ). +++

+++ "Die Chefredaktion der SZ denkt: Scheiße. Ist Walser. Müssen wir machen...." (sehr lesenswerte TAZ-Medienkriegsreportage heute). +++ Patrick Beuth indes, FR/ BLZ-Kolumnist, regt im Namen der "Kolumnenschreiber dieser Welt" an, in künftigen Zeiten der mauslosen Gestensteuerung von Computern "das Ballen der Faust" so zu besetzen, dass sich daraufhin das geöffnete Dokument "ungespeichert schließt und in den Mülleimer verschiebt". +++
 


Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag