Promis in der Haar-Hölle

Presse im Aufwind: Eine neue Halbmillionen-Zeitschrift will die Kioske rocken. Burdas "Chatter" besticht nicht nur durch Billigkeit, sondern engagiert sich auch für nationale Promis. Außerdem: Neues von Deutschlands ranghöchster Celebrity.

Es geht wieder aufwärts mit dem Altpapier. Wenn nicht unbedingt mit dieser Kolumne, so doch mit dem begehrten Sekundärrohstoff.

Jahrelang stagnierte dessen Aufkommen, wegen eingestellter Titel und permanent sinkender Auflagen der gedruckten Presse. Tauchten mal mit viel Brimborium Neuerscheinungen auf, handelte es sich meist um hochpreisige Hochglanzmagazine, die gut 50.000 Exemplare ihrer allerbestenfalls vierteljährlich erscheinenden Hefte verkaufen. Beef vielleicht für Nischen, das aber am Ende des Tages, in der Altpapiertonne, wenig hermacht.

Seit diesem Mittwoch aber gelangt ein Titel an die Kioske, der wirklich Holz macht: "Chatter, das neue Starmagazin", erscheint wöchentlich und "besticht durch seine absolute Größe". Das heißt: eine halbe Million "garantierte verkaufte Auflage!". Es garantiert sozusagen der Präsident des Präsident des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger persönlich, Dr. Hubert Burda.

Seit wenigen Minuten ist auch der Internetauftritt chatter.de freigeschaltet und erfreut mit neunlivehaften SMS-Gewinnspielen und innovativen Partizipations-Chancen wie der Möglichkeit, mitzuvoten, ob Popstar Rihanna wirklich Marihuana geraucht hat...

Titelstory des papieren Erstlings ist leider nicht "Macht Botox dumm?" mit Nicole Kidman, sondern: "Jennifer Aniston meint: Angelinas Leben ist eine Lüge!" mit Angelina Jolie. Beim Durchblättern fallen ferner auf: Catherine Zeta-Jones' "Bein-Albtraum", "Prince Michael hat Papas Hautkrankheit", "Diese Promis sind in der Haar-Hölle"...

"Trash pur, und das scheint durchaus Konzept zu sein", meint meedia.de. Stefan Winterbauer stieß auf "reihenweise Stories, die man als Spiegel-Online- oder Bild.de-Leser glaubt, so schon einmal irgendwo gesehen zu haben", und bilanziert:

"Die eigentlich spannende Frage ist, wie tief man das qualitative und preisliche Niveau absenken kann, so dass die Leser noch mitspielen und die Bilanz noch stimmt."

"Billig - aber sein Geld wert", meint indes kress.de, wobei der Wert wiederum ausschließlich in der Billigkeit zu bestehen scheint: "Für 50 Cent bekommt die Leserin das, was sie auch in den (deutlich teureren) Magazinen der Konkurrenz findet."

Welche Konkurrenz? "Mit dem Weekly pinkelt Burda vor allem Klambt und Bauer ans Bein" (auch kress.de, früherer Artikel).

Wer mehr über den Klambt-Verlag lesen möchte, dessen Titel Grazia und Ok! sich als besonders angepinkelt betrachten können, dem empfehlen wir die neue Ausgabe der (nicht am Kiosk erhältlichen, sondern vom VDZ als Verbandszeitschrift publizierten) Print & more. Hier ist sie als kostenloses E-Paper mit akustischem Blättereffekt anzuschauen. Das aktuelle Cover ziert ein eindrucksvoll rosiges Foto von Klambt-Chef Lars Rose. Die Story dazu steht auf S. 12 ff.

Und wenn wir bei den hochwertigen Publikationen des Zeitschriftenverlegerverbands sind: Stefan Niggemeier hat das ebenfalls kürzlich erschienene VDZ-Jahrbuch durchgearbeitet:

"Das Jahrbuch zeichnet das schizophren anmutende Bild einer Branche, die gleichzeitig demonstrieren will, dass es ihr bestens geht (und all die Todesprognosen verfrüht sind) und dass sie im Sterben liegt (und also alle alles tun müssen, was sie sagt)."

Präsident Burda kommt in dieser Jahrbuchs-Rezension leider nur kurz vor. Mehr Spott zieht der neue Focus-Chefredakteur Wolfram Weimer auf sich.

Zurück zu Chatter. Erstaunlich immerhin, dass Burda sich diesen trendig-stylishen Abverkaufsturbo-Namen sichern konnte, obwohl darunter international ein gleichnamiges, Twitter zufolge recht heißes Social-Media-Dings existiert...

Und ein schöner Zug der in Offenburg (am Hubert-Burda-Platz 1) ansässigen Redaktion verdient noch Erwähnung: Man setzt auf local talent. "Mindestens ein Drittel der Stars im Heft kommen aus Deutschland", versprach Chefredakteur Boris Hächler (kress.de).

[listbox:title=Artikel des Tages[meedia.de über Chatter##Gratis voten, ob Rihanna kifft! (chatter.de)##Niggemeier übers VDZ-Jahrbuch##Tagesspiegel über Fotos von Wulffs Kindern##Journalisten für Stenger (meedia.de)##Wissenswertes über Fußball in Mediatheken (KStA)]]

Wenn die deutsche Yellow Press konsequent einheimische Celebrities fördert, könnnen diese bald Weltniveau erreichen. Ähnlich hat das im Fußball ja auch funktioniert. Wie aber steht es im Augenblick ums Potenzial der deutschen Prominenz? Da hat der Tagesspiegel interessante Informationen vom frischgebackenen ranghöchsten Top-Promi des Landes: Bundespräsident Christian Wulff und seine Frau haben "die Publikationslinie für Fotos ihrer Kinder" geändert.

Nicht für alle Kinder freilich, bloß Linus und Leander "sollen künftig aus Sicherheitsgründen unkenntlich gemacht werden". Das hinderte den Präsidenten allerdings nicht, mit Linus auf dem Arm bei seinem viel beachteten Sommerfest zu performen. "Warum er die Kinder nicht eher abseits warten ließ, statt sie in den Mittelpunkt zu stellen, wenn ihm Sicherheit so wichtig ist?", fragt der Tsp.

Wir sind schon jetzt gespannt, wie Chatter auf dieses merkwürdige pressefreiheitliche Problem, das die DPA mit Gesichtsverpixelung (siehe unser Foto oben) löste, reagiert. Immerhin sind Wulff und seine Familie ja die Promis, die im Idealfall das ganze Land und sogar so gespaltene Zielgruppen wie die der Zeitschriften von Frau mit Herz bis Ok! gleichermaßen versöhnen könnten.

 


Altpapierkorb

+++ Nachwuchs-Promis erzeugt demnächst auch der Fernsehsender Vox. Ab August versucht er mit der Castingshow "X Factor" sein Glück. Das Konzept? "Du musst dein Herz öffnen, wenn du zu uns kommst, wir machen das auch", wird die Juryvorsitzende Sarah Connor in FR/ BLZ zitiert. +++

+++ Zum runden Leder: "Für den Aufbruch der Berliner Modewoche stehen die Ausländer - wie bei den deutschen Fußballspielern". Welche Ausländer? "Die Podolskis, Kloses und Özils..." Das heute dümmste Exempel für Fußballrefenzialität bietet die Vermischtes-Seite der FAZ. +++ DFB-Pressesprecher Harald Stenger, einst bei der Frankfurter Rundschau, wird nach der WM seines Postens verlustig gehen. Der Verband deutscher Sportjournalisten (der Verband, der durch den Austritt zahlreicher Mitglieder 2006 bekannt wurde) setzt sich für Stenger ein (meedia.de). +++ Für die SZ im Sportressort ist's eine unter vielen Facetten, die sich gegen Theo Zwanziger verwenden lassen (der "unmittelbar vor der WM dem Pressechef und Teammitglied Stenger, ohne mit der Wimper zu zucken, den Stuhl vor die Tür gesetzt und dessen Vertrag - ohne zwingende Gründe - zum Jahresende aufgekündigt" hat). +++

+++ Die SZ-Medienseite möchte skandalisieren, dass der Economist auf seinem Cover Barack Obama etwas einsamer an einem ölverpesteten Strand zeigte, als er tatsächlich dort gestanden hat. +++ Die FAZ-Medienseite 39 interviewt Regisseur Kevin Macdonald, der gemeinsam mit Youtube und Ridley Scott "die Menschen überall aufgerufen (hat), ihr Leben zu filmen", und zwar am 24. Juli. "Life In A Day" heißt das um den Rest der Welt erweiterte "24 Stunden Berlin"-Projekt. +++ Beide, SZ wie FAZ, berichten ferner über britische Debatten um die BBC und deren Budget. "Die BBC will nicht sagen, was ihre Spitzen verdienen" (FAZ), "Die BBC soll ihre Aktivitäten im Internet stark einschränken" (SZ, S. 15). +++

+++ Wie "pro domo" die Berichterstattung deutscher Medienseiten zuletzt über die Drei-Stufen-Tests der öffentlich-rechtlichen Sender ausfiel, kritisierte kürzlich epd Medien. +++ "Insgesamt aber wurde darum nicht mehr so heftig und so polemisch gestritten, wie es noch in den vergangenen Jahren geschehen war", bilanziert die katholische Funkkorrespondenz das Kölner Medienforum.+++ Über die Rechtslage bei Fußball in Mediatheken informiert, angenehm neutral, der KStA. +++

+++ KMH-Nachklapp (siehe Altpapier): "Die Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein löst auf Druck des ZDF ihren Werbevertrag mit der Molkerei Weihenstephan mit sofortiger Wirkung auf" (sueddeutsche.de). Bzw.: "Molkerei lässt Müller-Hohenstein fallen" (KStA). +++

+++ "Von der Vielfalt" all der Fernsehsender wird bei den Zuschauern "kaum Gebrauch gemacht": Das hat mal wieder die Sendergruppe ProSiebenSat1 herausgefunden - natürlich auch ziemlich pro domo. Aber die eine oder andere Meldung wert.

 

Frisches Altpapier gibt's am Donnerstag wieder.