Print unter Druck

Offenbar doch eine große: Sabine Leutheusser-Schnarrenbergers Rede zum Urheberrecht. Weiter seltsam: Bauers Kampf mit den Grossisten.

Kompliziert wie die Zeiten heute sind, beginnen die Reaktionen auf womöglich wegweisende Ereignisse wie zum Beispiel große Reden bereits in Echtzeit. Abgeschlossen sind die ersten Reaktionen aber weiterhin erst dann, wenn auch die großen Feuilletonartikel gedruckt und mit dem Rest der Zeitungen in die Briefkästen der Abonnenten gequetscht (Süddeutsche "heute mit 124 Seiten Beilage 'Golf spielen'"!) worden sind.

Am Montagabend hielt - Sie könnten es gestern im Altpapierkorb oder bei Carta gesehen haben - Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihre "Berliner Rede zum Urheberrecht".

Das Echo begann also schon vorgestern per Liveblogging, etwa bei netzpolitik.org (Markus Beckedahl: "Es wäre schön, wenn man bei so einer Grundsatzrede vorher mehr recherchiert hätte", "Die Rede ist eher ein einschleimen bei den Urhebern... und keine Liebeserklärung an das Internet", "Chance vertan"...).

Heute komplettieren es die Papierzeitungen. Die FAZ räumt SLS den Aufmacherrang in ihrem Feuilleton ein. Hannes Hintermeier referiert ziemlich viel von dem, was Leutheusser-Schnarrenberger sagte. Etwa die Idee, auf Urheberrechtsverletzungen mit Warnhinweisen à la "Hallo, was du da gerade tust, ist illegal" zu operieren, gefällt ihm ganz gut. Bloß sputen müsse sich die Ministerin halt:

"Das Internet aber gebiert sekündlich neue Autoren und Urheber. Das macht die Anpassung des Rechtes auf eine Technologie, die wenig Bewusstsein für Rechtsverletzung entwickelt hat."

Ja, am Bewusstsein der Technologien muss gearbeitet werden. Das SZ-Feuilleton räumt SLS enttäuscht eine unscheinbare Randspalte auf einer nachgeordneten Feuilletonseite (13) ein: "Leutheusser-Schnarrenberger zitierte am Anfang Roman Herzog und am Ende Roland Barthes. Wer mehr erwartet hat, wird enttäuscht sein", schreibt Rudolf Neumaier. Die, "denen Urheberrechte gleichgültig sind, werden solchen Pop-ups furchtlos entgegensehen", meint er zu den Warnhinweisen.

Weil aber auch Tagesspiegel und die TAZ mit geradezu untazzig wenig Meinungsfreude Zitate der Ministerin referieren, scheint es sich doch um eine große Rede gehandelt zu haben (zumindest was die Presseclippings betrifft, die nun im Justizministerium erstellt werden müssen). Die allgemeine Verunsicherung der papierbasierten Branche scheint SLS recht kongenial getroffen zu haben.

[listbox:title=Artikel des Tages[Kritischer Liveblog zur SLS-Rede (netzpolitik.org)##Lobendes Feuilleton dazu (FAZ)##Pressefrühstücks-Bericht bei meedia.de##Neues zu Nazi-Content im weiteren Sinne (Niggemeier)##Guter Rat für die 60-jährige ARD (FR/BLZ)##ZDF/Spiegel-Werbesuppe? (meedia.de)]]

Ganz am anderen Ende der Medienbranche, dort, wo das Internet noch kaum eine Rolle spielt, fand am gestrigen Dienstag ein Pressefrühstück statt, das nun Berichte in FAZ (S. 35) und SZ (S. 15) sowie frei online bei den üblichen Mediennewsdiensten nach sich zieht.

Es geht um das Grossosystem, das garantiert, dass im Prinzip jede Zeitung und Zeitschrift zu jedem Kiosk zwischen Flensburg und Garmisch und, falls unverkäuflich, auch wieder zurück kutschiert wird. Da befindet sich der Bauer-Verlag mit diversen Grossisten in einem harten Clinch um Margen und Rendite. Nun aber "streckte der Hamburger Zeitschriftenriese Bauer Media Group eine Hand aus. Um diese Geste zu verkünden, empfing die Geschäftsleiterin und Verlegertochter Yvonne Bauer höchstpersönlich Journalisten zu einem Frühstück", berichtet die SZ.

Und zitiert dann belustigt aus dem zum Frühstück verteilten, 24-seitigen Sonderdruck "Wunderwelt Vertrieb":

Es "findet sich im Heft eine deftige Satire, derzufolge die Grossisten am liebsten einen Absatz im Grundgesetz hätten, der ihnen ein unantastbares, vererbbares Monopol garantiert, bei dem die Verlage ihnen die Monopol-Rendite sichern. Diese Satire zeigte Geschäftsleiter Schoo am Dienstagmorgen mit sichtbarem Stolz."

Dieses nicht am Kiosk erhältliche Heft hat der Bauer-Verlag "im Stil seines Wissensmagazins 'Welt der Wunder'" gehalten, erkannte die FAZ und zitiert Andreas Schoo mit der hintersinnigen Zeile "Print steht unter Druck" - eine solch hintersinnige Zeile, wie sie dem beinharten Managertyp eigentlich niemand zugetraut hätte.
 


 

Altpapierkorb


+++ Wenn Print unter Druck steht, steht ja Druck über Print. Jedenfalls, als die arme Katrin Müller-Hohenstein gestern abend im ZDF (ungefähr als die ARD Horst Köhlers Zapfenstreich zeigte, vgl. Michael Hanfelds hübsche faz.net-Besprechung) die Tabelle der WM-Gruppe F vorlas, in der bislang zwei Spiele stattfanden und jeweils 1:1 ausgingen, sagte sie souverän "Die Slowakei vor Paraguay und Neuseeland"... Politisch ist das natürlich völlig unverfänglich.Umgekehrt alphabetisch wahrscheinlich... +++ Im Rahmen der KMH-Nachberichterstattung erfuhr Stefan Niggemeier nicht nur von Frank Thomsen, dass stern.de "mit Welt Online verabredet" habe, während der WM "gegenseitig einzelne Stücke auszutauschen, wenn es passt und die jeweiligen Leser etwas davon haben." Sondern, à propos "Nazi-Content", auch noch vom Verschwinden eines Absatzes über Eva Herman auf sueddeutsche.de (wozu Niggemeier gar auf einen Udo Ulfkotte-Text bei info.kopp-verlag.de verlinkt). +++ Es ging es um die Frage, wo Bücher des Autors Jan Udo Holey erscheinen und wo sie bloß online bestellbar sind - ungefähr um das also, was  der Süddeutschen auch im Mai 2009 (siehe dnews-Altpapier) Ärger machten. +++

+++ 60 Jahre ARD und kein Ende. Heute rufen Daniel Bouhs und Peer Schader in FR und BLZ (jeweils gemeinsam) gut gemeinte Ratschläge zu. Zum Beispiel, dass "eine Konzentration auf Kernbereiche im Netz kein Weltuntergang" wäre. +++ "Das Beste zeigt die ARD zu spät: Filme von Pedro Almodovar" (Süddeutsche). +++ Über die Idee des RBB, das 20-Jährige des Bundeslandes Brandenburgzu feiern, informiert der Tsp.. +++

+++ Bei meedia.de durchfischt Alexander Becker die "Werbe-Suppe" mit jeweils "eigenem Geschmacksverstärker", die das ZDF und der Spiegel um das ZDF, das aktuelle Spiegel-Cover sowie  die von Spiegel TV produzierte Marietta Slomka-Afrika-Doku (siehe Altpapier gestern) ausgerechnet in der reichweitenstarken Halbzeitpause des ersten Deutschland-Spiels womöglich anrührten. +++ Die Praxis des Urheberrechts: die "Schland o Schland"-Story im KStA. +++

+++ Ins Ausland: Rupert Murdoch "will weg von der Werbung" (FTD) bzw zumindest "vom Werbemarkt unabhängiger werden" (Handelsblatt). +++ Silvio Berlusconis Medienkonzern Mediaset muss von staatlichen Beihilfen unabhängiger werden (SZ). +++ Im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung wurden 8766 deutsche Artikel und Fernsehberichte über China ausgewertet. Themenbreite wie Verbesserungsbedarf seien recht groß (Tsp.). +++ Das französische Online-Bezahlmodell mediapart.fr stellt der frei online zugängliche Beitrag aus dem neuen epd Medien-Heft vor. +++

+++ Die Kollegen Kolumnisten: Von künftig weniger Kluge bei Vox wusste Kai-Hinrich Renner zu berichten. +++ "Ohne Smileys erkennen viele eben keine Ironie und keinen Sarkasmus in geschriebenen Texten mehr", beklagt Patrck Beuth (FR/ BLZ). +++ Und Silke Burmester (TAZ) ist "eine CD angeboten worden, mit den Namen von Journalisten, die PR machen. Namen, Auftraggeber, Honorare. Für 43 Euro...".
 

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.