Das gesponsorte Nicht-Sportereignis im öffentlich-rechtlichen Abendprogramm zählt zu den Verlierern. Aber wer gewinnt? Alles zur neuen Haushaltsabgabe.
Es gibt kaum ein Programmgenre, in dem Deutschlands öffentlich-rechtliches Fernsehen seine 1991 vom Bundesverfassungsgericht formulierte Bestands- und Entwicklungsgarantie so konsequent ausschöpft wie den Schwedenkrimi. Allenfalls noch Italiener- und Franzosenkrimis...
Zur Feier des Tages, also zur Begrüßung des neuen Rundfunkbeitrags bringt die ARD heute abend ein ganz neues Exemplar zur Ausstrahlung: Sylvester Groth spielt Inspektor Gunnar Barbarotti, "einen etwas anderen Kriminalisten", "eine neue Ermittlerfigur mit Kultcharakter" (ARD). Wir empfehlen die Besprechung der TAZ. Inhaltlich tiefer in die Details des garantiert "verzwickten Falls" heute abend geht der Tagesspiegel.
Jetzt aber zum Positiven der Entwicklung: Die "Privatsphäre der Rundfunkteilnehmer" zählt nun auch zu den immateriellen Gütern, die besonders geschont werden:
"Ziel der Länder ist es, eine gerechte und zukunftssichere Finanzierung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf eine zeitgemäße Grundlage zu stellen, die Kontrollbedürftigkeit innerhalb des Systems deutlich zu reduzieren und vor allem auch die Privatsphäre der Rundfunkteilnehmer zu schonen."
So die Original-Verlautbarung der Ministerpräsidenten zur Ersetzung der Rundfunk- bzw. GEZ-Gebühren durch die neue Haushaltsabgabe ab 2013.
Was die Reform zu bedeuten hat, schlüsseln seit gestern abend nahezu alle Publikumsmedien auf. In besonders nutzwertiger FAQ-Form zum Durchklicken tut es Spiegel Online. Die grundsätzlichste Veränderung beschreibt Daniel Bouhs dort so:
"Durch die Neuregelung werden ARD, ZDF und Deutschlandradio einem Kultur- und Bildungsgut gleichgestellt, für den per gesellschaftlichem Konsens die Allgemeinheit aufkommt. Die Programme stehen damit in einer Reihe mit Schulen, Universitäten, Theatern und vielen deutschen Filmproduktionen: Für sie muss jedermann zahlen, ob er darauf Lust hat oder nicht."
Ministerpräsident Kurt Beck, bekanntlich ein Mann aus dem Volke, formuliert denselben Sachverhalt anders, weniger elitär:
"Man zahlt seinen Abwasseranschluss und seine Müllgebühren ja auch dann, wenn man das alles nicht nutzt."
Das zitiert ebenfalls Bouhs (BLZ/ FR, anderer Text) vom gestrigen Presseauftritt der zuständigen Ministerpräsidenten.
"Zwangsgebühr" bzw. "Bezahlfernsehen für alle" sagen meedia.de und kress.de, was bloß deshalb nicht so richtig zündet, weil leidenschaftliche Gegner des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von Zwangsgebühren ja auch schon vor Jahren sprachen...
Der besser Schutz der Privatsphäre bedeutet konkret, dass es ab 2013 sowieso "Befreiungen .. so gut wie gar nicht mehr" gibt (SPON wieder), also dass GEZ-Mitarbeiter schon daher nicht mehr vor der Tür stehen werden, weil vermutlich "die Beweislast umgedreht" wird (taz.de).
[listbox:title=Artikel des Tages[Rheinland-Pfalz präsentiert: die neuen Fernsehregeln##Spiegel Online-FAQ dazu##Süddeutsche-FAQ dazu##Ausführlich und wirtschaftsnah: KStA dazu##Angst vor Hartz IV-Empfängern? (FTD)##Der Schwedenkrimi heute abend (TAZ)]]
Was bedeutet die Neuregelung für "erwachsene Kinder, die noch zu Hause wohnen", und für Geschäftsleute? Siehe SPON. Für Hotels und Vermieter von Ferienwohnungen? Sie werden "stark entlastet". Anders sieht's bei Miet- und Dienstwagen aus (sueddeutsche.de).
Am detailliertesten nimmt sich einstweilen die Kölner DuMont-Presse des Themas an. Dort kommen sowohl Wirtschaftsvertreter ("Der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelskammertag und der Handelsverband Deutschland fordern, dass der neue Beitrag nur bei den Haushalten anknüpft... Es wäre konsequent, die Unternehmen oder Betriebsstätten von der Zahlungspflicht auszunehmen") wie auch der Kölner SPD-Medienpolitiker Marc Jan Eumann zu Wort, der die Gelegenheit nutzt, nochmal die CDU zu attackieren. Per Kommentar findet der KStA die Reform "schwer vermittelbar".
"Ganz Deutschland muss sparen. Nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht", kommentiert auch die Bild-Zeitung, was Michael Hanfeld in der FAZ gestern differenzierter ausdrückte. "Inkonsequent" nennt die FTD die Reform: "Es drohen eine Klageflut und hoher bürokratischer Aufwand", und das auch aus "Angst vor dem Zorn von Hartz-IV-Empfängern".
Was sich im Programm selbst ändern wird, ist relativ wenig: Ab 1. Januar 2013 soll "Sponsoring nach 20 Uhr ... wegfallen, allerdings nicht für Sportereignisse, die den Hauptanteil ausmachen. Von Brauereien präsentierte Krimis gäbe es dann aber nicht mehr" (taz.de nochmal).
Der "Tatort" kann also nicht mehr von "Krombacher" (oder war es "Warsteiner"? "Bitburger"?) gesponsort werden. Die Entwicklungsgarantie für den deutschen Fernsehkrimi an sich aber bleibt zukunftssicher.
Altpapierkorb
Nicht für jeden Bürger, der Rundfunkempfangsgeräte vorhält, bloß für jeden aussteigewilligen Mitarbeiter des Magazins Focus steht ein Sockelbetrag von, je nach Lebensalter, 15.000 oder 7.500 Euro bereit, der sich erstens durch die Dauer der Betriebszugehörigkeit und zweitens durch "schnelles Zugreifen" um einen "Entscheiderbonus" erhöhen kann. Details der großen Stellenabbau-Aktion können Betroffene bei den speziellen Focus-Freunden von sueddeutsche.de nachlesen (die ganz am Rande auch noch gern die "stille Tragödie im Arabellapark, über den schwierigen Kampf des verdienten Gründers Helmut Markwort um sein Lebenswerk" erzählt hätten). Oder bei meedia.de.
+++ Gestern verlinkten wir an dieser Stelle zum US-Blog littlegreenfootballs.com, der manipulierte Agenturfotos vom Schiff "Mavi Marmara" zeigt. Heute berichtet die FAZ: "Die Nachrichtenagentur Reuters ist in Erklärungsnot". Und littlegreenfootballs.com hat neue Informationen. +++ Wegen der Entwicklungen bei Wikileaks äußert sich Hans Leyendecker mal ganz grundsätzlich (Süddeutsche, S. 17): "Informanten vor sich selbst zu schützen, ist deshalb eine Aufgabe, die mitunter schwieriger als das Beschaffen von Informationen ist". Informanten wiederum sollten sich ein Beispiel an der Watergate-Hauptquelle, dem früheren FBI-Vizechef W. Mark Felt, nehmen, der sich "erst als alter Mann" selbst enttarnte.
+++ Die Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaften und ihre Auswirkungen auf prominente Beschuldigten wurden in Karlsruhe diskutiert. Christian Rath berichtet (TAZ). +++"Journalisten kreisen um Apple wie die Fliegen um die Biotonne". Arno Frank fordert ebd. ein "Moratorium". +++ Ab morgen wird alles anders und WM. Was beim Fernsehen zu beachten ist, fassen FAZ und BLZ zusammen. +++ Warum nennt die ARD die Bundespräsidentschafts-Kandidatin Luc Jochimsen beharrlich "Lukrezia"? (Tsp.). +++
+++Herzlichen Glückwunsch, Theo Sommer (siehe Altpapier gestern) zum 80.. Heute gratulieren der Tagesspiegel ("Aber vor allem steht dafür der Umstand, dass die große Zeit der 'Zeit' in ihm und seiner alterslosen Präsenz weiterlebt"), Nils Minkmar in der FAZ (Er "dürfte auch nach diesem Geburtstagsfest wieder als letzter stehender Gast den neuen Tag begrüßen und mit Nachsicht auf die Dreißig- und Vierzigjährigen blicken, die längst das Handtuch geworfen haben", S.47) und die Zeit selbst durch Otto Schily, aber nicht als Dossier. +++ Wer sind die Gewinner der Springer'schen Ideenolympiade "Scoop"? "ZDF-Redakeurin Katrin Eigendorf und die Videojournalismus-Beraterin Sabine Streich" (meedia.de). +++
+++ Nochmal zum TV heute: Tilmann P. Gangloff charakterisiert den neuesten Schwedenkrimi auf evangelisch.de so: "Jörg Grünler verzichtet bei seiner Umsetzung auf praktisch jede Form von Dynamik. Gelegentliche Spaziergänge sind das größte Ausmaß an Bewegung."
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag