Freibier für Journalisten!

Die goldene Generation der Großjournalisten ist gut drauf. Sie könnte jetzt sogar, rein theoretisch, Bundespräsident werden. An der Freibierfront ziehen derweil neue Aufreger heran.

Morgens vor dem Joggen in Hamburg-Volksdorf und auf Sylt vier Zeitungen lesen ("das Hamburger Abendblatt kurz, dann die Welt, als Index zur FAZ, zum Schluss als Vergnügen die Süddeutsche", die internationale Presse folgt erst im Büro und über realclearpolitics.com auch online).

Und einen Vertrag als Editor-at-Large haben, der zwar nominell gerade um bloß zwei Jahre verlängert wurde, den aber statt eines Verlegers eines Tages der liebe Gott beenden wird: Theo Sommer ("Viel Erfolg beim Surfen auf meiner Website!"/ "I wish you much fun and good luck while surfing on my website!") führt das schönes Leben, das er dank vieler Leistungen auch verdient hat.

Und die Medienseite der Süddeutschen führte zu seinem morgigen 80. Geburtstag ein beinahe ganzseitiges Interview mit dem Jubilar, das dieser heute vorm Joggen mit ganz besonderem Vergnügen registriert haben wird. Hans Werner Kilz stellte leider nicht die Frage, ob Sommer denn noch gelegentlich als Hafenführer tätig wird, wenn seine eigene Zeitung, Die Zeit, die Reise "Hamburg für Genießer" veranstaltet (vgl. "Die besten Reisen 2005"/ Platz 3 in der Kategorie "Kurzreisen").

Aber zum Beispiel die Frage, ob denn Nannen, Springer, Augstein oder Bucerius Sommer "am meisten beeindruckt" haben, die wird ausführlich beantwortet (derzeit nicht frei online, SZ S. 15)

Überhaupt sprüht die goldene Generation der Journalisten vor Tatendrang. Kandidatin Nr. 3 im zumindest noch bis zum Freitag derzeit spannendsten Wettrennen, dem ums Amt des Staatsoberhauptes, wird Luc Jochimsen, 74, ebenfalls Journalistin.

Luc wer? Das klärt sueddeutsche.de per Videointerview (und auch wenn Interviewer Thorsten Denkler ein wenig dreinschaut wie Carsten van Ryssen oder sonst jemand, der für Martin Sonneborn Material sammelt - das ist alles ernst gemeint). Der befragte Experte Hugo Müller-Vogg, der übrigens auch ein "jetzt besonders aktuelles" Buch über Christian Wulff geschrieben hat, flicht auf bild.de beim Lüften des Geheimnisses um die Veröffentlichung des Gabriel-Merkelschen SMS-Wechsels so geschickt seine guten Beziehungen zur Bundeskanzlerin ein, dass man sich schon jetzt auf das Interview freut, das er, Jahrgang 1947, zu seinem 80. Geburtstag geben wird.

"Jochimsen, die in zweiter Ehe verheiratet ist und aus erster Ehe einen erwachsenen Sohn hat, erhielt im Laufe ihres Journalistenlebens eine größere Zahl von Auszeichnungen und Preisen", informiert die FAZ über "die Anti-Gauck". "Aber mit Verlaub: Welche nach vorne drängende Idee verkörpert Luc Jochimsen?", fragt Stefan Reinecke in der TAZ.
Nun ja, sie war beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen, sie könnte rein theoretisch Bundespräsidentin werden - was hätten in diesen Zusammenhängen nach vorne drängende Ideen verloren?

Eine in der Tat verhältnismäßig revolutionäre Entwicklung der Medienpolitik soll heute und morgen von den Ministerpräsidenten der Bundesländer beschlossen werden: die Abschaffung wenn nicht der GEZ, so doch der klassischen GEZ-Gebühren. Vorabberichte über die bereits ziemlich beschlossene Reform gab es in den letzten Tagen (z.B. TAZ) und gibt es auch heute (Tagesspiegel, Süddeutsche S.1). Allesamt recht nüchtern klingen sie. Größere Aufregung wird erst aufkommen, wenn allen, die sowieso schon wegen drohender Sparpaketen ächzen, bewusst wird, dass viele auch eher noch mehr für ARD und ZDF bezahlen sollen.

Um das Thema schon jetzt zu setzen, braucht es nach vorne drängende Journalisten, die zupacken und zuspitzen können. Einen davon haben wir in den Medienressorts: Michael Hanfeld von der FAZ.

"Freibier war sein letztes Wort", ist der Artikel auf der FAZ-Medienseite 31 (noch nicht frei online, aber sicher bald) überschrieben. Hanfeld nimmt einen Kommentar des SWR-Reporters Stephan Ueberbach auf tagesschau.de zum Anlass, erst diesen und dann das öffentlich-rechtliche System durch den Kakao zu ziehen. Ueberbach schreibt in Hinsicht auf die drohenden Sparpakete:

"... Ich habe mich durch Ihre Abwrackprämie nicht dazu verlocken lassen, einen überflüssigen Neuwagen zu kaufen, ich bin kein Hotelier und kein Milchbauer. Und 'Freibier für alle' habe ich auch noch nie verlangt...."

Hanfeld dazu:

"Das aber darf man hinterfragen. Denn die Reform der Rundfunkgebühr, welche die Ministerpräsidenten an diesem Donnerstag verkünden werden, bedeutet, um es nur etwas zuzuspitzen: Freibier für alle Öffentlich-Rechtlichen. Es kommt nämlich eine Haushaltsgebühr, die alle zahlen müssen, ganz gleich, ob sie fernsehen, Radio hören und im Internet surfen oder nicht."

Das heißt nun aber nicht, dass er diese neue Haushaltsgebühr grundsätzlich falsch findet:

"Das neue Modell ist sinnvoll. Die Gebühr an Geräte zu koppeln, ist in der digitalen Welt eine Idee von vorvorgestern. Für die Sender ist es ein Blankoscheck auf die Zukunft; den Berechnungen des Statistischen Bundesamts zufolge wird die Zahl der Haushalte in den nächsten 15 Jahren dank der Versingelung der Gesellschaft nämlich sogar leicht steigen. Doch handelt es sich bei der neuen Gebühr tatsächlich auch um eine Erhöhung - weil sich die Basis der Zahlenden verbreitert".

[listbox:title=Artikel des Tages[Hanfeld über Haushaltsgebühr und Freibier##Tsp. über Neues aus der Medienjustiz##TAZ über die Lage bei Wikileaks##...und (nicht gar so ernsthaft) über "Mediensucht"##Geschäftsmodell Online-Prospekt (FTD)]]

Was in der Praxis dazu führen könnte, dass in einer nahen Zukunft, in der die meisten Menschen weniger Geld zur Verfügung haben werden, der öffentlich-rechtliche Rundfunk per definitionem noch mehr Geld als sowieso schon zur Verfügung haben werde:

"Die Finanzierung des Gemeinwohlrundfunks gehört grundsätzlich neu justiert. Der Freibierkommentator vom SWR hat derweil gut poltern. Seinen Deckel bezahlen nämlich wir alle"

Das ist natürlich, wie die Metaphorik schon selbst zeigt, Stammtischpolemik. Aber auch nicht ganz falsch.



 Altpapierkorb

Neues aus der Medienjustiz: "Heiko Kiesow, Stuntman und Lebensgefährte der Schauspielerin Iris Berben" darf jetzt doch als ehemaliger Mitarbeiter der Stasi genannt werden, berichtet der Tagesspiegel. Das haben die Super Illu und der NDR in langwierigen Ferichtsverfahren durchgesetzt. "Pikanterweise hatte ... der RBB seinen freien Journalisten Benedict Maria Mülders", der ebenfalls zu den Klägern gehörte, "im Regen stehen lassen und wenige Tage vor Fristablauf erklärt, auf die Berufung zu verzichten." "Das heißt, die 'identifizierende Berichterstattung' - vulgo: einen ehemaligen Stasi-IM beim Namen nennen - ist möglich." (FAZ, S. 31). +++Springer dürfte ProSiebenSat.1 weiterhin nicht kaufen, entschied der Bundesgerichtshof (SZ). Deutsche Medienkonzerne sollten "ihre Expansionsstrategie vorerst auf das Ausland konzentrieren. Das gelte jedenfalls, so lange die Konvergenz beziehungsweise das Zusammenwachsen der Medien noch nicht weiter fortgeschritten sei", rät die FTD daher.+++

+++ Was genau ist die verschärft diskutierte "Mediensucht": "das ewige Sich-in-die-Medien-Drängen von Menschen, vorwiegend Männern, die in Fachdiensten wie Peter Turi unglaublich belangloses Zeug absondern. Oder Leuten wie Miriam Meckel..."? Dies und vieles mehr ("Sex im Schlaf"!) in Silke Burmesters aktueller Medienkriegsreportage in der TAZ. +++

+++ Ins Ausland. "Wir haben nie eine Quelle verloren", sagte Wikileaks-Sprecher Daniel Schmitt, der in Wahrheit einen anderen namen trägt, im April in Berlin. Das stimmt jetzt nicht mehr: die TAZ über den "enormen Schaden", den die Whistleblowing-Webseite durch die Verhaftung des 22-jährigen US-Soldaten Bradley M. erlitt. +++ Manipuliert die Agentur Reuters Fotos von den Schiffen, die nach Gaza fahren wollten? littlegreenfootballs.com mit zwei Beispielen. +++ Mit dem Abtritt von Washingtons dienstältester Korrespondentin Helen Thomas "nach antisemitischem Affront" (FAZ) beschäftigt sich auch sueddeutsche.de - wo die automatisierte Gaga-Verlinkung z.B. zum "Thema 'Helen'" in der Tat stört (siehe auch onlinejournalismus.de). +++ Den dramatischen "Rückzug vom Rückzug" des RAI-Moderators Michele Santoro schildert die BLZ. +++

+++ Nicht der liebe Gott, sondern die Medienanstalt Berlin Brandenburg wird am 22. Juni voraussichtlich die "Vertreibung aus dem Paradies" bzw. Abschaltung von Radio Paradiso beschließen. Der Tagesspiegel fuhr jetzt mal raus zum "idyllischen Sitz" des christlichen Senders am Kleinen Wannsee. +++

+++ Neues zur Zukunft der Medien: Das Internet-Startup kaufda.da "knabbert" an einem der (im Wortsinn) besonders dicken Geschäfte der Verleger. Die Prospekte von Aldi, Lidl und Media-Saturn gibt es nun auch online. Die FTD erklärt das Geschäftsmodell. +++ Aktuelles zur "geschäftstüchtigen Unternehmerin Heidi K. aus Bergisch Gladbach" in FR/ BLZ. Direkt aus dem benachbarten Köln berichtet der KStA. +++

+++ Trotz allem gute Laune beim Hamburger Mediencup 2010 dokumentiert meedia.de.+++


Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag