Neue Trends: Opinion Leader (Barack Obama, Miriam Meckel) gegen Apple, Zeitungsartikel, die 65-mal das Wort "ich" enthalten.
Regelmäßige Leser dieser Kolumne wissen: Matthias Dell beschäftigt sich gern mit Miriam Meckel, der Kommunikationswissenschaftlerin und Publizistin (vgl. Altpapier gestern).
Jetzt nutzt er Meckels Burnout-Bestseller als Anlass und Einstieg eines Freitag-Interviews mit Peter Schneider (Psychoanalytiker aus Zürich, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen 1968-er-Zeitzeugen). Das Gespräch schweift durch sehr viele Lebensbereiche. In seiner dritten Antwort sagt Schneider:
"Offenkundig hat sich die Frage des Schuldigwerdens von der Sexualität in die Bereiche Ernährung und Gesundheit verlagert. Der Sex hingegen ist durch Naturalisierung weitgehend dem Moraldiskurs entzogen worden. Nur als Anekdote: In Zürich gibt es regelmäßig schwul-lesbische Wochen, anlässlich derer Zoo-Führungen unter dem Titel 'Homosexualität im Tierreich' angeboten werden. Dort sieht man dann, dass Sex in jeder Spielart etwas ganz Natürliches ist - Pädophilie ausgenommen. Beim Essen gibt es keine analoge Beruhigung."
Der letzte Satz bedeutet freilich mitnichten, dass es beim Essen digitale Beruhigung gäbe.
"Digital nicht zerstreut werden" will wiederum - Miriam Meckel. Sie hat schon wieder, vielleicht ist's ja Burnout-Prävention, einen langen Zeitungsartikel geschrieben, nun für den Berliner Tagesspiegel.
Stilistisch epochal: Meckels Text enthält sage und schreibe 65-mal das Wort "ich". Ansonsten geht es inhaltlich um Kritik am iPad ("Es ist zu cool") und zwar zugunsten des Konkurrenzgeräts Kindle. Von dem schwärmt Meckel derart, dass man sich beinahe fragen würde, ob nicht besser unter dem Artikel stehen sollte, dass er mit freundlicher Unterstützung des Kindle-Vermarkters Amazon entstanden ist. Tatsächlich fragen würde man sich das natürlich nur, wenn einen nicht die iPad-Berichterstattung daran gewöhnt hätte, dass hemmungsloses Lob bestimmter Computermarken einfach zum Qualitätsjournalismus der Gegenwart dazu gehört.
Außerdem, und das muss Meckel in ihrem "Forschungs- und Schreibexil hier in Cambridge an der Harvard University" (Meckel) seismographisch gefühlt haben, beginnt sich der wind of change gegen den Mediendarling Apple zu wenden.
"An der Hampton University kritisiert Barack Obama iPod und Xbox", meldet die FAZ-Medienseite (online ähnlich) und übersetzt aus seiner Rede die vielleicht zentrale Passage: "Ihr werdet in einem Medienumfeld erwachsen, das uns mit allen Arten von Inhalten bombardiert und allen Sorten von Argumenten aussetzt, unter denen manche auf dem Wahrheitsmesser nicht immer hoch ausschlagen".
Im Original heißt's:
"And meanwhile, you're coming of age in a 24/7 media environment that bombards us with all kinds of content and exposes us to all kinds of arguments, some of which don't always rank that high on the truth meter. And with iPods and iPads; and Xboxes and PlayStations -- none of which I know how to work -- (laughter) -- information becomes a distraction, a diversion, a form of entertainment, rather than a tool of empowerment, rather than the means of emancipation. So all of this is not only putting pressure on you; it's putting new pressure on our country and on our democracy."
"Wahrscheinlich muss sich Obama", der ja ein machtbewusster Politiker ist, "bald bei Steve Jobs persönlich entschuldigen", meint taz.de, das auch einen Videoausschnitt des stilecht kostümierten Präsidenten eingebunden hat.
Der Begriff "Nachrichtenschwall", der der Print-FAZ als Überschrift dient, stammt wohl weniger von Obama als vom FAZ-Feuilleton, das seinen eigenen Wind weiterhin gegen Facebook wendet. Und heute via techcrunch.com eine "weitreichende Sicherheitslücke" reportiert, "durch die die vierhundert Millionen Nutzer die Chats ihrer Freunde sehen konnten".
[listbox:title=Artikel des Tages[Meckel übers Kindle (Tsp.)##Gespräch über Meckel (Freitag)##Obama über iPods und -Pads (engl.)]]
Das passt zum gestrigen "Facebook ist Selbstprostitution"-Interview mit dem Münchner Psychologieprofessor Ernst Pöppel. Techcrunch indes hat sogar schon neuere, noch einzudeutschende Facebook-Sicherheitslücken entdeckt.
Andererseits, die Freunde im weltgrößten Netzwerk wird das vermutlich auch nicht stören.
Altpapierkorb
+++ Die frischen Grimme Online Award-Nominierungen sind draußen. Während der Tagesspiegel sich einfach freut , dass seine Verlagsschwester Zeit Online nominiert wurde, demonstriert die DuMont-Presse Vielfalt, indem sie die entsprechende DDP-Meldung unter den Überschriften "Von Würsten und Hörprothesen" und "Meinungsführer und Nischenangebote" anbietet. +++
+++Aus der Welt der Zeitschriften: "Einen Entschuldigungsartikel, der die Grenze zur Realsatire streift", aber auch exemplarisch die Verwertungskette "Exklusive Geschichte - exklusives Dementi" mit Leben füllt, fand meedia.de beim routinemäßigen Scannen der Cover aus dem Inland auf der aktuellen aktuellen (Gong-Verlag/ WAZ-Gruppe). Es geht um Günther Jauch. +++ Die Süddeutsche (S. 23) bespricht die nun regelmäßig erscheinende Nido unter der Überschrift "Einer flog ins Einkaufsnest": Gruner+Jahr "hat ausgerechnet, dass die Zahl der Interessenten für dieses Blatt - zeitschriftenaffin, gutes Einkommen, gute Bildung - bei mehr als einer Million liegen dürfte, und das reicht offenbar, um mit großer Zuversicht zwölf Mal im Jahr darüber schreiben zu wollen, warum es so wenig Krippenplätze gibt, woran man gute Bioware erkennt und wie Familien ihr Geld gemeinsam verwalten." +++ Noch 'ne neue Zeitschrift: Retrotrend. Die sei aber "weder retro noch Trend, sondern schlichtweg aus der Zeit und damit allen Zusammenhängen gefallen", meint Katrin Schuster (Freitag). +++ Wwas aus der Zeit, der Wochenzeitung, fällt: außer dem Zeit-Magazin mit etwas obskurem Uhren-Special sowie einer Vorteils-Abo-Angebotskarte (drei Uhren zur Auswahl) noch die 72-seitige Sonderveröffentlichung "Elite Report extra/ Ausgezeichnete Vermögensverwalter".
+++ St. Aust hat für jeden Journalisten, der seine Telefonnummer kennt, ein exklusives Zitat. Gegenüber Hans-Peter Siebenhaar (Handelsblatt) sagte er nun über seine "Woche": "Ich habe eine Zeitschrift entwickelt, die allgemein als gelungen betrachtet wird".
+++ Die lieben Kollegen Medienkolumnisten: Kriegsreporterin Silke Burmester befasst sich in der TAZ u.a. mit "Bernd 'die Gabel' Gäbler. Das ist so'n voll netter Medienheini", der bei stern.de mal wieder die Abschaffung der GEZ fordert: Lieber sollte es "einen Vertrag mit den Finanzämtern geben, dass diese stellvertretend den Betrag einziehen, so wie bei der Kirchensteuer." Wobei diese Idee auch schon bei Carta und in der FAS geäußert wurde... +++ Und Marin Majica, Digitalkolumnist der DuMont-Presse, ist jemand, der gern digital zerstreut wird und es aktuell von der App namens Akinator wird. +++
+++ Fernsehtipp des Tages: "Der andere Junge" (ARD) "ist ein trotz aller Tragik sehr nüchterner Film geworden, der durch die trüben, regnerischen Kamerabilder noch düsterer wirkt. Auf optimistische Ausblicke sollte man hier nicht hoffen" (FR). "Das ist hart anzuschauen, aber auch in der Antike war es ja bekanntlich die Tragödie, die zur Katharsis führte, leider immer für einige zu spät", würde Sandra Kegel (FAZ, S. 36) sagen.
+++ Sonstigeres: Der nicht-GEZ-finanzierte christliche Radiosender Paradiso soll seine Berlin-Brandenburger Frequenzen verlieren (Tsp.). +++ Der Süddeutschen liegt die Gegenklage vor, die die Nachrichtenagentur DDP gegen die (sie auch verklagende) DPA schon im April beim Landgericht Frankfurt eingereicht hat (S. 23). +++ Nach der Bedeutung von Filmmusik bzw. Fernsehfilmmusik hat Tilmann P. Gangloff (KStA) übliche Verdächtige wie Nico Hofmann befragt. +++ "Es kommt aber auch hinzu, dass die Qualität, die wir abliefern, manchem Angst macht", sagt Grundy UFA-Chef Rainer Wemcken (dwdl.de) in einer Doppeldeutigkeit, die jedem Soap-Dialogautoren um die Ohren gehauen werden würde. +++ Und Günter Netzer, Fußballkommentator und Grimmepreisträger, wird jetzt auch in BLZ/FR interviewt ("Ich habe noch denselben Friseur wie 1976, in Zürich").
+++BLZ exklusiv: "Die Leser des Playboy erhalten mit der aktuellen Ausgabe des Männermagazins ein Geschenk. Mittels einer speziellen Brille können sie die Inhalte der Zeitschrift in 3-D-Qualität sehen. Der optische Vorteil dürfte besonders bei der Lektüre der Interviews und Reportagen, für die der Playboy bekannt ist, ins Gewicht fallen..."
Neues Altpapier gibt's nach dem morgigen Feiertag wieder am Freitag